Ein Abend im Advent

Ein Abend im Advent

Eine besinnliche Erzählung aus der Weihnachtszeit

von Rainer Elsner

Veröffentlicht im Ostfalen-Spiegel – Wolfenbüttel im Dezember 2010

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Die Dunkelheit der herannahenden Nacht hat das spärliche Licht des Tages bereits verdrängt, als der dreizehnjährige Tom mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Lisa an der Bushaltestelle ankommt. Die Kinder waren bei einer Weihnachtsfeier ihres Sportvereins. Seit den Morgenstunden fallen ohne Unterlass weiße Flocken vom Himmel. Langsam verwandelte der Schnee das triste Grau des Novembers in das strahlende Weiß des Dezembers. Überall in den Fenstern und an den Häusern glänzen die Lichter des Advents. Auch die Augen von Tom und Lisa glänzen beim Anblick der weiß-goldenen Pracht.

Während die beiden Kinder auf den Bus warten, quält sich der späte Feierabendverkehr langsam vorbei. Die glatten Straßen rauben den Fahrern die Freude an der Schönheit dieses Abends. Aber wer sich nicht auf das Fahren konzentrieren muss, wird von den Gedanken an das nahe Weihnachtsfest ergriffen. Es vergeht eine halbe Stunde, aber kein Bus ist in Sicht. Tom wird langsam unruhig. Zuerst toben beide noch im frischen Schnee, doch nun bemerken sie langsam die Kälte. Besonders Lisa fängt an, sich über kalte Füße zu beschweren.

„Warum hast du bloß dein Handy vergessen?“ stichelt Lisa ihren Bruder, „jetzt müssen wir hier erfrieren, weil wir Mama nicht anrufen können“.

Der stimmt ihr innerlich zu, will sich diese Blöße aber nicht geben und sagt deshalb unfreundlicher, als er es eigentlich wollte:

„Reiß du dich doch einfach mal zusammen! Kaum wird es ungemütlich, da muss die kleine Prinzessin schon Meckern. Aber Meckern hilft nicht!“

Das ist für Lisa zu viel. Immer muss ihr Bruder sie spüren lassen, dass er doch schon so groß und ernst ist. Dabei ist ihr einfach nur kalt! Eingeschnappt dreht sich Lisa um und setzt sich stumm auf die eiskalte Bank im Haltestellenhäuschen. Tom schaut zu seiner Schwester und bekommt ein schlechtes Gewissen. Sie hat ja Recht. Wenn er sein Handy nicht zu Hause vergessen hätte, könnten sie jetzt ihre Mutter anrufen und sich abholen lassen. Tom überlegt und sagt schließlich:

„Lisa, wir gehen zu Fuß.“

Lisa reagiert nicht, sondern schaut weiter stumm in den frisch gefallenen Schnee.

„Lisa, du hast Recht“ gibt er klein bei, „aber wir müssen uns bewegen“.

„Aber das ist doch viel zu weit“ erwidert Lisa bestürzt und springt auf.

„So weit ist das gar nicht, und wenn wir hier noch länger stehen, erfrieren wir wirklich“ erklärt Tom seiner Schwester.

„Aber ich will nicht den ganzen weiten Weg laufen“ rebelliert das Mädchen und dreht sich wieder bockig weg.

Behutsam fasst Tom nun seiner kleinen Schwester auf die Schulter und sagt ruhig:

„Lisa, entschuldige bitte, dass ich eben so schroff war zu dir! Vielleicht können wir ja von irgendwo Mama anrufen. Dann holt sie uns bestimmt ab. Aber lass uns erst mal ein Stück gehen.“

Lisa ist zwar gerne schnell eingeschnappt, aber sie ist nicht dumm. Wenn auch widerwillig, folgt sie ihrem großen Bruder. Langsam gehen die Kinder auf dem verschneiten Bürgersteig in Richtung Stadtmitte. Ihr Ziel liegt auf der anderen Seite der kleinen Stadt. Sie sind noch nicht weit gekommen, als sie vor einem kleinen Fachwerkhaus eine vermummte Gestalt sehen. Im Halbdunkel räumt das irgendwie unheimlich wirkende Wesen den Gehweg vom Schnee frei. Das erscheint aber eigentlich sinnlos, denn der Schnee bedeckt sofort wieder die gerade befreite Fläche. Etwas ängstlich gehen die Kinder an der Gestalt vorbei, denn sie ähnelt in gewisser Weise der Hexe aus Hänsel und Gretel – zumal vor dem kleinen gedrungenen Häuschen. Auch dem großen Tom ist irgendwie mulmig zu mute. Als sich die Kinder schon fast in Sicherheit wiegen, spricht die Hexe sie an:

„Ach Kinder, was geht ihr den hier so alleine durch die Kälte?“

Die Stimme klingt so gar nicht nach einer bösen alten Hexe. Sie klingt zwar etwas zitternd aber warm und liebenswürdig. Mutig drehen sich die Kinder um und schauen in die freundlichen Augen einer wohl schon sehr alten Frau.

„Na, ihr fürchtet euch doch nicht vor mir alten Frau?“ spricht sie lächelnd weiter.

„Nein, aber wir wollen schnell nach Hause kommen“ antwortet Tom etwas an der Wahrheit vorbei redend. Lisa steht stumm neben ihrem Bruder und hat seine Hand ergriffen.

„Ihr braucht aber keine Angst haben vor mir“ sagt die alte Frau, die die Furcht vor allem in Lisas Augen sofort erkennt, „ich sehe zwar vielleicht wie eine alte Hexe aus dem Märchen aus, aber ich könnte wirklich keiner Menschenseele etwas antun!“

„Können wir bei ihnen vielleicht unsere Mutter anrufen, damit sie uns hier abholt? Der Bus ist nicht gekommen“ fragt Tom nun, der sofort bemerkt, dass es kindisch war, sich vor dieser alten Frau zu fürchten.

„Aber sicher. Kommt, wir gehen erst mal rein. Dort ist es warm“ antwortet die Frau.

Mit dem Schneeschieber in der Hand geht sie voraus und die Kinder hinterher. In den Fenstern des Hauses stehen kleine Lichtbögen und aus dem Schornstein steigt Rauch in den verschneiten Himmel. In der weihnachtlich geschmückten Diele schaltet die Frau eine Lampe an und zeigt Tom und Lisa die Garderobe, wo sie ihre Kleidung aufhängen können. Dann zieht sie die dicken Sachen aus, die sie vor der Kälte geschützt haben. Und auch die Kinder ziehen ihre Jacken und Schuhe aus. Die Frau zeigt Tom ihr Telefon. Der ist zunächst irritiert, denn der große schwarze Apparat hat einen viel zu schweren Hörer und statt Tasten ein Rad mit Löchern, unter denen die Zahlen 0 bis 9 zu sehen sind. Die Frau sieht das und erklärt ihm die Funktionsweise der alten Wählscheibe. Zum Glück erreicht Tom seine Mutter auch sofort. Sie hat sich schon Sorgen gemacht und fährt umgehend los. Aber das kann dauern, die Straßen sind ja glatt.

„Kommt Kinder, wir gehen in die gute Stube, dort ist es gemütlicher“ fordert die alte Dame Lisa und Tom auf und geht wieder voraus.

Sie betreten einen in ein gemütliches Licht getauchten Raum mit alten Möbeln und vielen Bildern an den Wänden. Auf Kommoden und Regalen flackern Kerzen, in den Fenstern stehen leuchtende Schwibbögen. An einer Seite des Raumes steht eine alte Schrankwand mit einem Regal in der Mitte, in welchem unzählige vor allem alte Buchrücken zu sehen sind. Und an der Wand gegenüber den Fenstern befindet sich neben der Tür ein Kamin, in dem ein Feuer lodert. Vor dem Kamin steht ein kleiner Tisch und um ihn herum gruppiert zwei Sessel und ein Sofa. Der Raum ist wie der Hausflur weihnachtlich geschmückt.

„Wärmt euch schon mal am Feuer, Kinder. Ich mache uns schnell noch heißen Tee. Und hier habt ihr eine Decke, mit der ihr eure Beine und Füße wärmen könnt“ sagt die Frau zu Tom und Lisa. Sie reicht den Kindern die Decke und verlässt die Stube wieder.

Die Kinder setzen sich auf das Sofa und blicken fasziniert in das Feuer. Langsam breitet sich wieder Wärme in ihren Körpern aus. Zunächst können Lisa und Tom ihre Augen nicht vom Feuer lösen. Doch dann schauen sie sich in dem Raum um. Alles, Möbel, Wände, Bilder ist so gar nicht modern, ganz anders als zu Hause. Aber überall scheinen kleine Geschichten verborgen zu sein. Deutlich spüren sie, wie das gelebte Leben der alten Frau aus den Dingen spricht. Zwei Bilder in Schwarzweiß, die auf dem Kaminsimms stehen, fesseln die Kinder besonders. Auf einem Bild ist eine junge schöne Frau mit zu einem Haarkranz geflochtenen blonden Haaren unter einem Brautschleier zu sehen. Sie steht im weißen Kleid an der Seite eines Soldaten mit Schirmmütze und Säbel. Beide schauen lächelnd in die Kamera. Und ein zweites Foto steht daneben, wo wohl der gleiche Soldat in sauberer Uniform mit geflochtenen Schulterklappen freundlich, aber auf eigentümliche Weise ernst im Portrait abgebildet ist. Dies Bild ist an einer oberen Ecke mit einem schwarzen Band geschmückt.

„So Kinder, jetzt wird euch richtig warm werden“ sagt die Frau, während sie den Raum mit einem Tablett betritt.

Sie stellt die Teekanne und Tassen auf den Tisch und gisst die dampfenden Flüssigkeit in die Tassen. Auch ein Teller mit Plätzchen steht auf dem Tablett. Noch immer etwas ausgekühlt trinken die Kinder vorsichtig den heißen und süßen Tee. Nachdem alle ihre Tasse wieder auf den Tisch gestellt haben, sagt die Frau zu den Kindern:

„Ich bin die Sophia, und wie heißt ihr zwei Kleinen denn nun eigentlich?“

„Tom“ antwortet Tom etwas mürrisch, da er ja nun wirklich nicht mehr klein ist.

„Lisa“ sagt Lisa und lächelt.

„Dürfen wir sie etwas fragen?“ fragt Tom die alte Dame, nachdem er sich wieder beruhigt hat. Sie hat schräg neben den Kindern in einem der alten Sessel Platz genommen.

„Ja Tom, das dürft ihr, aber ihr braucht mich nicht mit Sie ansprechen. Da ich euch Kinder mit Du anspreche, dürft ihr kleinen Menschen auch mich mit Du anreden“ erklärt Sophia mit freundlicher Stimme.

„Bist du das da auf dem Foto?“ fragt Tom und zeigt zum Kamin.

Sophia schaut kurz hin und sagt dann mit plötzlich leiserer Stimme:

„Ja, das war die schönste Zeit meines Lebens. Aber es war uns nur eine kurze Zeit vergönnt. Und diese schöne Zeit ist auch schon sehr lange her.“

Einen Moment lang wird es still im Raum. Nur das Feuer knistert. Dann steht Sophia auf und legt Holz nach. Tom fasst erneut allen Mut zusammen und fragt:

„Ist der Soldat dein Mann, habt ihr da geheiratet?“

„Ja, das ist mein geliebter Ludwig, der fesche Leutnant“ antwortet Sophia mit einem Lächeln aber zitternder Stimme, „das Foto zeigt einen der glücklichsten Momente in unserem Leben.“

„Und warum hat das andere Foto diese schwarze Ecke?“ fragt Lisa.

„Das macht man, wenn ein Mensch gestorben ist“ antwortet Sophia mit noch leiserer Stimme.

„Warum ist dein Ludwig denn gestorben?“ fragt Lisa in ihrer noch kindlichen Unschuld weiter.

Sophia atmet tief ein, schaut die Kinder mit ernster Miene an und antwortet dann:

„Weil wir Menschen leider sehr dumm sind und unfähig, wirklich menschlich zu sein. Ihr seid ja noch sehr jung. Aber ich denke, ein Mensch kann es nicht früh genug erfahren, worauf es ankommen in diesem Leben!“ Mit bebender Stimme fragt sie: „Wollt ihr unsere, Ludwigs und meine, Geschichte hören?“

Der Klang in Sophias Stimme hat die Kinder betroffen gemacht, aber ihre Andeutungen haben auch ihre Neugier geweckt. Die Kinder schauen Sophia mit großen Augen an und antworten leise:

„Ja Sophia, bitte erzähle uns eure Geschichte.“

„Gut, merkt euch bitte alles, was ich euch erzähle. Es wird leider viel Trauriges dabei sein. Aber ich werde euch auch sehr Schönes berichten“ sagt Sophia zu Tom und Lisa und lehnt sich in ihren alten Sessel zurück.

A

„Es war im Frühling 1936. Ich ging noch zur Schule, war auf dem Weg zum Abitur. Eines Abends stand dann plötzlich dieser fesche junge Offizier vor mir. Ich kam mit ein paar Freundinnen aus dem Kino. Wir scherzten und lachten und ich rempelte ihn ausversehen an. Schick sah er aus in seiner schmucken Uniform mit seinen silbernen Leutnantsklappen auf den Schultern und seiner Schirmmütze auf seinem kantigen Kopf. Er war kein auffallend schöner Mann, aber er sah stattlich aus in der Uniform und sein Blick strahlte viel Wärme aus. >Verzeihung, mein Fräulein!< sagte er höflich und salutierte vor mir.

Ich erstarrte und war wie gefangen von ihm. Es war ein schönes, völlig aufheiterndes Gefühl, was mich plötzlich ergriff – vielleicht so, als ob nach einem vernebelten Morgen plötzlich die Sonne scheint. Obwohl ich mit meinen neunzehn Jahren noch fast ein Kind war, wusste ich sofort: Das ist er! Ich kann euch nicht sagen warum, aber ich wusste es – so erscheint es mir zumindest rückblickend bis heute. In diesem Moment vermochte ich dies heitere, erhebende Gefühl noch nicht zu deuten. Es war nur einfach schön! Der Offizier stellte sich als Leutnant Ludwig Minne vor, Panzergrenadierbataillon sowieso. Ich sagte nur, dass ich Sophia heiße. Dann bekam ich es mit der Angst zu tun. Schnell drehte ich mich weg. Meine Freundinnen griffen meine Hand und übertrieben lachend stürmten wir davon zur Straßenbahnhaltestelle.“

Sophia macht eine Pause und trinkt einen Schluck Tee. Weihnachtlicher Glanz umgibt sie. Die Kinder schauen sie gebannt an.

„Und dann, wie ging es weiter?“ fragt Lisa ungeduldig.

„Nur ruhig Blut junge Dame“ erwidert Sophia und rückt sich im Sessel zurecht.

„Es vergehen einige Tage. Der junge, fesche Leutnant, wie wir Mädchen ihn genannt haben, geht mir aber nicht aus dem Sinn. In der Schule kann ich mich nicht konzentrieren und nachts kann ich nicht schlafen. Ich bin verliebt. Das wird mir immer deutlicher bewusst. Ihr müsst wissen, Kinder, damals war alles noch nicht so offenherzig zwischen Mann und Frau, wie das heute meist der Fall ist. Und wir waren auch nicht so aufgeklärt und fast schon frühreif, wie das heute häufig der Fall ist. Was heute möglicherweise schon zu früh und zu viel passiert, das war damals viel später dran und vieles auch nicht statthaft oder gar erlaubt.“

Sophia macht wieder eine Pause.

„Aber ich will die Geschichte nicht zu sehr in die Länge ziehen. Eure Mutter kann ja jeden Moment hier sein. Kurz, irgendwann fasste ich allen Mut zusammen und ging zu seiner Kaserne. Irgendwann kam er auch tatsächlich heraus, aber er ging mit einem Kameraden plaudernd an mir vorbei – ohne mich wahrzunehmen, wie ich glaubte. Was ich alles anstellen musste, um ihn immer wieder zu sehen und wie umständlich unser Kennenlernen verlief, will ich um der Kürze willen weglassen. Irgendwann blieb er stehen und sprach mich auf das Kino an. Er begann damit, mir den Hof zu machen und mein Herz schien zu fliegen. Ludwig führte mich zum Kaffee aus und ins Theater. Ich konnte es kaum erwarten, dass er sich wieder meldet und wir wieder etwas gemeinsam unternahmen. Auf dem Weihnachtsmarkt im Advent 1936 gestand er mir schließlich seine Liebe und ich ihm die meine.“

„Habt ihr euch dann geküsst?“ fragt Lisa aufgeregt.

„Nein, oder ja, aber nur ganz kurz und verlegen. Wie gesagt, damals war alles anders als heute!“ beantwortet Sophia Lisas Frage.

„Und der Ludwig lief die ganze Zeit in dieser schicken Uniform herum?“ fragt Tom fasziniert.

„Ja, das war damals eine Zeit der Uniformen, Kinder. Das alte Preußen lebte in diesen Uniformen noch immer und alle hatten Respekt vor einem Offizier. Entsprechend stolz war ich junges Ding damals, wenn ich mit meinem Ludwig durch die Straßen flanierte. Wir Mädchen träumten alle von einem stolzen Ritter oder eben von einem Offizier mit Säbel und Portepee. Wir hatten ja keine Ahnung, welche grausame Zukunft sich hinter diesen schmucken Uniformen versteckte“ erklärt Sophia.

„Aber ich will später auch Soldat werden, wie mein Onkel Sebastian. Der ist Kompaniechef bei den Fallschirmjägern“ kommentiert Tom Sophias Worte mit etwas Unverständnis.

„Ach Junge, ich weiß, alle Jungs träumen davon, ein Held zu werden. Aber Helden sterben mitunter sehr früh, zu früh. Oder sie bemerken viel zu spät, dass es nicht sehr heldenhaft ist, Menschen zu töten“ sagt Sophia mit matter Stimme.

„Aber …“ will Tom protestieren.

Doch Sophia führt den Finger an den Mund und gibt ihm zu verstehen, einstweilen zu schweigen:

„Warte erst mal unsere Geschichte ab, Tom.“

„Okay“ sagt Tom wieder leiser und lehnt sich zurück.

„Es war, wie gesagt, die schönste Zeit meines Lebens. Im Frühling 1937 feierten wir Hochzeit. Mein fescher Leutnant war mittlerweile zum Oberleutnant befördert worden. Da ist das Foto links entstanden. Unsere Flitterwochen verbrachten wir in den bayerischen Alpen. Wir waren so verliebt! Ludwig war sehr besorgt um mich, und ich auch um ihn. Und wann immer wir kurz getrennt waren und uns dann wieder sahen, konnten wir in den Augen des anderen die grenzenlose Freude sehen, die er empfand, einfach nur weil es einen gab. Wir brauchten wenig Worte, um uns sicher zu sein, dass wir einander liebten.“

„Schön!“ entfährt es Lisa.

„Ja, das war schön. Aber es dauerte nicht lange, dann sahen auch wir die dunklen Wolken am Horizont. Ein Jahr später wurde Österreich ins Reich geholt, dann brannten im November die Synagogen. Auch wenn Ludwig Soldat war und ich zuvor im BDM, dass man Menschen so etwas nicht antut, war uns beiden bewusst. Doch, wie so viele Menschen damals, glaubten wir, die Zeiten würden auch wieder besser werden.“

„BDM?“ fragt Tom.

Sophia steht auf und schürt im Feuer. Lisa schenkt frischen Tee in alle Tassen.

„Der BDM war der Bund deutscher Mädel“ antwortet Sophia dann, während sie am Kamin hantiert, „das war eine Jugendorganisation der Nationalsozialisten, der weibliche Zweig der Hitlerjugend. Ihr werdet hoffentlich in der Schule noch mehr darüber erfahren, heute würde es meine Geschichte zu sehr in die Länge ziehen.

Doch wieder ein Jahr später bekam der Wahnsinn ein neues Gesicht. Zunächst mit stolzgeschwellter Brust rollte mein Ludwig mit seinen Panzern über die Grenze nach Polen. Der Beruf des Soldaten war es, und ist es übrigens noch heute, Krieg zu führen. Und so waren vor allem die Offiziere froh, sich endlich auf dem Schlachtfeld beweisen zu können. In meinem naiven Denken durchschaute ich die Situation noch nicht, aber ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Für unsere Liebe war das eine harte Prüfung. Wir sahen uns von nun an immer nur wenige Tage, allenfalls Wochen im Jahr. Immer, wenn Ludwig Heimaturlaub hatte. Zunächst gaben wir uns dann immer einfach unserer jungen Liebe hin, Ludwig schenkte mir drei Kinder. Aber mit jedem Heimatbesuch wurde er nachdenklicher und trauriger. Schließlich verbrachten wir unsere wenigen Abende nicht mehr eng umschlungen im Ehebett, sondern in langen Gesprächen. Es ist unvorstellbar, was er mir von der Front berichtet. Das Sterben, das Töten, das Leiden von unzähligen Menschen, grausame Wunden ließen meinen Ludwig nicht mehr richtig schlafen. Dazu kamen noch Verbrechen, die er auch zu sehen bekam. Frauen und auch Kinder wurden erschossen und es hieß, in Polen gäbe es ein Lager, in dem Juden vergast werden. Bei unserem letzten Treffen war mein Ludwig nur noch ein Schatten seiner selbst. Inzwischen war er Oberstleutnant und Bataillonskommandeur in der 6. Armee. Aus der Zeit stammt das andere Foto dort.“

Sophia zeigt auf das Bild mit dem Trauerflor. Die Kinder folgen ihrer Hand schweigend.

„Auf dem Bild sieht man seine Traurigkeit nicht. Da hat er sich zusammengerissen und seine liebenswürdige Seele zum Ausdruck gebracht. Vielleicht wusste er, dass das das letzte Bild sein würde, was ich von ihm haben würde.“

Sophia kommt ins stocken. Tränen kullern über ihre Wangen. Lisa legt aus einem Reflex ihre Hand auf Sophias Knie. Sophia greift nach der Hand und erzählt weiter:

„Ihr habt vielleicht schon von Stalingrad gehört. Mein Ludwig und seine Grenadiere wurden dort im Winter 1942/43 eingekesselt. Als ich von der mörderischen Schlacht hörte, wusste ich, ich würde meinen Ludwig nicht wieder sehen. Im Januar 1943 kam ein junger Leutnant vom Ersatzheer, so fesch und stolz wie einst mein Ludwig, zu mir und sagte, mein Ludwig sei heldenhaft für Reich und Führer gefallen. Da die Kinder hinter mir standen, musste ich mich zusammenreißen. Denn alle fingen sogleich an zu weinen. Dem jungen Offizier sagte ich nur: >Ach Herr Leutnant, wenn sie wüssten< und ließ ihn dann stumm im Flur stehen.

Später am Abend, als die Kinder alle im Bett lagen, und ich sie halbwegs beruhigen konnte, sank ich in unser Ehebett. Hier, wo wir in manch langer Nacht mit so viel Freude unsere Liebe gefeiert hatten, von der wir glaubten, sie würde ewig dauern. Hier, wo wir zuletzt in dunkler Ahnung lange vertraute Gespräche führten und hier, wo mein Ludwig mir gestand, dass Soldat ein böser Beruf ist, hier brach ich in Tränen aus. Und bis zum frühen Morgen konnte ich nicht mehr aufhören zu weinen. Erst, als mein Körper auszutrocknen drohte, hörte ich auf mit dem Weinen. Mit dunklen Augen frühstückte ich mit den Kindern und beschloss, meine Kinder werden niemals in irgendeinen Krieg ziehen! Es folgten viele dunkle Wochen und Monate, wo mich der Kummer um Ludwig in einer tiefen Traurigkeit erstarren ließ und immer wieder unverhofft meine Tränen flossen. Nur die Kinder gaben mir noch Kraft, mein Leben nicht aufzugeben. Doch dieser Schmerz sollte sich noch steigern lassen.“

Sophia verstummt und trinkt wieder einen Schluck Tee. Der Raum ist erfüllt von Stille, nur das Feuer im Kamin knistert und die Kerzen ringsum flackern. Schweigsam schauen Lisa und Tom Sophia an und warten, dass die Geschichte weiter geht.

„Als wollte die Welt mich verhöhnen, starb mein ältester Sohn, den wir auch Ludwig genannt hatten, in den Bombennächten des Frühjahrs 1945. Wenig später sollte dieser schreckliche Krieg zu Ende sein. Doch mein Schmerz lebte fort. Hermann, unser mittlerer Sohn, hasste die Britten, weil sie seinen großen Bruder getötet hatten und Anna-Sophia, unser Mädchen, fragte nur, wann kommt Ludwig wieder. Sie konnte nicht wissen, dass mich dies doppelt stach. Denn sie hatte ihren Vater nicht mehr kennenlernen dürfen. Mir aber fehlten nun zwei Ludwigs. Es dauerte lange, bis ich wieder etwas Freude in mein Herz lassen konnte. Noch länger brauchte ich, bis Hermann endlich begriffen hatte, dass die Bomben der Britten zwar ebenfalls nichts Gutes waren, dass wir Deutschen diesen grausamen Krieg aber allein zu verantworten hatten und dass sowieso nicht jeder Engländer oder Amerikaner oder Russe böse war, nur weil wir Krieg gegen diese Länder geführt hatten. War ich anfangs noch genauso dumm fanatisch wie viele meiner Generation, so empfing ich am Ende trotz der Bomben die alliierten Truppen als Befreier.“

Wieder verstummt Sophia. Es ist doch sehr anstrengend für die alte Frau, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Doch vielleicht war dies die letzte Gelegenheit, ihre Erfahrung weiter zu reichen.

„Hast du später wieder geheiratet, Sophia?“ fragt Lisa vorsichtig.

„Nein“ antwortet Sophia ohne zögern, „es gab so manchen Verehrer, ich war schließlich noch jung und auch nicht unansehnlich. Aber ich war für Ludwig geboren worden und wenn die Kinder nicht gewesen wären, ich weiß nicht, ob ich den Krieg überlebt hätte“.

„Aber dann hast du ja noch über sechzig Jahre alleine gelebt“ stellt Tom fest.

„Alleine?“ fragt Sophia, „nein alleine war ich nie. Ich hatte ja die Kinder und später auch Enkel – und ich hatte zum Glück auch einige gute Freunde. Und Ludwig war ja nie wirklich verschwunden, er ist bis heute bei mir. Ich trage ihn in meinem Herzen. Erst wenn ich gehe, wird er mit mir gehen. Manchmal denke ich, ich bin so alt geworden, weil Ludwig so früh gestorben ist. Ich musste einfach zwei Leben leben.“

Sophia verstummt und Lisa weint leise. Tom rutscht unruhig auf dem Sofa hin und her.

„Das ist wohl doch noch zu schwer zu verstehen für dich, was Lisa?“ fragt Sophia mit ruhiger Stimme.

„Deine“ Lisa korrigiert sich, „eure Geschichte ist sehr traurig aber auch sehr schön, denn du hast deinen Ludwig wohl wirklich sehr geliebt“ antwortet Lisa schluchzend.

„Ja, das habe ich“ bestätigt Sophia Lisas Feststellung, „und wenn dies der einzig denkbare Weg war, auf dem sich unsere Liebe verwirklichen konnte, dann will ich auch keinen anderen gegangen sein – so schmerzhaft dieser Weg auch war“ spricht Sophia weiter.

„Aber warum warst du dir gleich so sicher, dass Ludwig der richtige ist?“ fragt Lisa nun wieder etwas gefasster.

„Das kann ich dir nicht sagen, Lisa. Wahrscheinlich war ich anfangs gar nicht sicher. Ich habe einfach nicht weiter darüber nachgedacht. Ich wusste nur sehr schnell, dass ich ihn liebe. Später, in seinen tiefgründigen Briefen von der Front, hat mir Ludwig immer auch ein paar Verse gedichtet. Am Ende hatte ich eine Sammlung von Aufsätzen über den Sinn des Lebens, die Liebe und unsere Liebe – und ein langes Gedicht über die Liebe. An einer Stelle schrieb er da: >Liebe wird von uns nicht gelenkt, Liebe wird uns geschenkt<. Es gibt also keine Erklärung für die Liebe, Kind.“

Lisa schaut Sophia an und versucht die Worte dieser Frau zu begreifen. Nachdenklich wendet sie ihren Blick dabei dann dem Feuer zu.

„Aber Kind, so sicher du dir deiner Liebe eines Tages auch bist, bewehren muss sie sich im Leben. Und das hält mitunter sehr harte Prüfungen bereit“ spricht Sophia weiter.

Lisa schaut Sophia wieder an und sagt leise „Ja“.

Nun kann Tom sich nicht mehr zurückhalten.

„Aber deine Geschichte stammt aus einer anderen Zeit. Heute sind unsere Soldaten die Guten. Mein Onkel schützt unsere Freiheit in Afghanistan“ bringt er seinen Unmut zum Ausdruck.

Sophia, die von der Reise in ihre Vergangenheit mittlerweile sehr aufgewühlt und auch erschöpft ist, erwidert etwas verärgert:

„So, tut er das?“ Dann wird ihr wieder bewusst, dass sie es noch mit einem Kind zu tun hat und sagt in wieder ruhigerem Ton: „Tom, du bist noch sehr jung. Ich kann verstehen, wenn du meine Geschichte noch nicht ganz begreifen kannst. Und ich weiß auch, dass ihr Jungen immer gerne Soldaten sein wollt. Und sicher ist dein Onkel auch ein ganz lieber Kerl. Mein Ludwig war für mich ja auch der liebste Kerl auf dieser Welt. Und trotzdem ist er in den Krieg gezogen und hat Menschen getötet und zum Töten befohlen.“

„Aber mein Onkel macht sowas nicht, der hilft den Menschen dort“ widerspricht Tom.

„Was ist dein Onkel? Fallschirmjäger? Fallschirmjäger gehören zu den Kampftruppen. Sie lernen nichts anderes, als Menschen zu töten! Aber auch jeder andere Soldat hat als eigentliche Aufgabe das Töten. Auch der Panzerschlosser oder der einen Brunnen bohrende Pionier. Der Beruf des Soldaten ist das Töten und Sterben. Es tut mir leid, Tom. Aber das muss dir bewusst sein, denn sonst wirst du irgendwann so unglücklich, wie es am Ende mein Ludwig war.“

Tom wird wütend und springt auf und ruft:

„Du bist eine böse alte Hexe! Mein Onkel ist kein schlechter Mensch!“

Da springt auch Lisa auf, fast ihren Bruder an der Hand und sagt zu ihm:

„Aber du, wenn du dich nicht augenblicklich entschuldigst. Sophia hat uns ohne Fragen aufgenommen und geholfen. Sie hat viel gelitten in ihrem Leben und du schreist sie an!“

Tom schaut entgeistert seiner Schwester in die Augen, die plötzlich so besonnen und weise redet. Diese Unterbrechung nutzt Sophia, um die Wogen wieder zu glätten:

„Ich habe doch gar nicht gesagt, dass dein Onkel ein schlechter Mensch ist. Ich habe nur gesagt, was der Beruf des Soldaten ist. Viele unserer Soldaten heute sind sicher ganz liebe und friedliche Menschen. Und vielleicht kommen wir auch noch nicht ganz ohne Soldaten aus. Aber das ändert nichts daran, dass unsere Soldaten nichts in Afghanistan zu suchen haben. Und dass die Hauptaufgabe des Soldaten das Töten von Menschen ist – und das Sterben. Kinder, vielleicht erzähle ich euch zu schwere Kost, aber ihr müsst dieses Wissen erlangen und weiter tragen. Die Menschen meiner Generation werden bald alle nicht mehr am Leben sein.“

Sophias Stimme wird nun sehr ernst.

„Es gibt zwei Wege, den menschlichen und den Weg der Macht. Heute scheinen wir wieder den Weg der Macht gehen zu wollen. Deutsche Soldaten sollen in der Welt dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft freien Handel betreiben kann. Das ist Imperialismus, Kinder, die Großmachtbestrebung des 19ten Jahrhunderts. Und nun gibt es auch wieder Orden für besonders gute Krieger. Mein Ludwig hatte auch so ein Eisernes Kreuz. Zum Schluss wollte er es am liebsten nicht mehr tragen.“

Sophia stockt der Atem, redet dann aber weiter.

„Irgendwie erinnert mich so vieles heute, wenn bisher auch nur sehr versteckt, an diese schreckliche Zeit. Mit einer Demokratie, die sich den Menschrechten verpflichtet hat, Kinder, hat das fast nichts mehr gemein.“

Als Sophia eine Pause macht, meldet sich Lisa abermals zu Wort. Um die Situation wieder etwas zu beruhigen fragt sie:

„Und wie ging dein Leben nach dem Krieg weiter?“

Sophia, die kurz aufgestanden ist, legt zunächst ein Stück Holz ins Feuer und spricht dann wieder ruhiger weiter:

„Nun, nachdem ich mich mit meiner Situation abgefunden hatte, beschloss ich, mein Leben dem Frieden zu widmen und so vielleicht dem Sterben meiner beiden Ludwigs postum noch einen Sinn zu geben. Zunächst engagierte ich mich in einem Verein für deutsch-französische Freundschaft. Anna-Sophia lerne hier ihren späteren Mann kennen. Beide leben, auch schon in die Jahre gekommen, glücklich in Toulouse. Das steht für einen echten Erfolg und gibt Hoffnung, denn 1914 sahen sich Deutsche und Franzosen noch als verhasste Erbfeinde. In den 1950er Jahren setzte ich mich gegen die Wiederbewaffnung ein, vergeblich, wie ihr wisst. Und in den 60er Jahren gründete ich einen Verein für die deutsch-russische Freundschaft mit. Im kalten Krieg war das aber fast unmöglich.“

Sophia schaut den Kindern, die ihr wieder gebannt lauschen, in die Augen und sagt:

„Kinder, ihr dürft nicht vergessen. Auch die Russen oder die Chinesen oder die Afghanen lieben ihre Kinder wie wir. Sting hat in den 1980er Jahren, als es noch den Kalten Krieg gab, gesungen >The Russiians love their children too<, die Russen lieben auch ihre Kinder. Das bringt es schon fast auf den Punkt. Wir müssen auf die Menschen zu gehen und mit ihnen reden und ihnen nicht nur von der Menschlichkeit erzählen, sondern sie ihnen auch zeigen. Solange der wirtschaftliche Erfolg großer Konzerne aber mehr wiegt als ein Menschenleben, wird es Piraten in Somalia geben und wütende Kinder in Palästina. Das ändert auch keine Bundeswehr. Und in Guantanamo haben wir Menschen im Westen schwer versagt. Das hat uns unglaubwürdig gemacht.“

Wieder macht die alte Frau eine Pause und trinkt einen Schluck Tee. Mit etwas zitternder Stimme redet sie dann weiter.

„Sicher gibt es auch wirklich böse Menschen in der Welt, und gegen die müssen wir uns auch schützen. Aber die meisten Menschen wollen in Ruhe und Frieden leben, egal welcher Weltanschauung sie anhängen. In den aktuellen Konflikten wird Religion oft nur als Deckmantel für ganz anderes benutzt. Denn, ob jemand an Gott, Allah oder Buddha glaubt, hängt doch sehr stark von seiner Geburt ab. Jeder Mensch aber liebt andere Menschen und liebt sein Leben, und jeder Mensch hat Sorgen und Nöte. Meist bekommen wir nur Probleme miteinander, weil wir nicht miteinander reden. Das wichtigste ist, auf andere Menschen zuzugehen und mit ihnen zu reden. Und das klappt in der Regel ohne Waffen besser als mit. Weihnachten nennen wir das Fest der Liebe. Und daran sollten wir uns erinnern, Kinder. Ich rede nicht so, weil ich euch verschrecken will, sondern weil ich Kinder wie euch liebe und sie vor solchen Torheiten bewahren will, wie wir sie in unserer Jugend begangen haben. Ein anderer Vers von meinem Ludwig hilft hier in gewisser Weise auch weiter. Zwar hat er ihn eigentlich deutlich persönlicher gemeint, aber er kann auch in Bezug auf die Völkerfreundschaft verstanden werden: >Liebe ist Freundschaft, Liebe uns Freunde schafft.<“

Sophia hat gerade diese schönen Worte gesprochen, da ertönt die alte Türklingel. Die Kinder schrecken auf und merken, plötzlich, wie weit sie in eine andere, etwas magisch wirkende Welt abgetaucht waren. Vielleicht kommt diese Frau doch aus einem Märchen, denkt Lisa, nur dass sie keine Hexe ist, sondern vielleicht eine gut Fee. Außerdem, wer hat denn gesagt, dass Hexen wirklich böse sein müssen …?

Sophia begrüßt die Mutter von Tom und Lisa an der Haustür. Die bedankt sich bei ihr. Mit glänzenden Augen verabschiedet sich dann Lisa von Sophia. Und auch Tom haben die letzten Worte nachdenklich und milde gestimmt. Mit einem Lächeln drückt er Sophia die Hand zum Abschied und sagt:

„Danke Sophia, diesen Abend werde ich wohl nicht so bald vergessen. Entschuldige bitte, dass ich so wütend geworden bin.“

Sophia schaut ihn an und streicht ihm über den Kopf. „Das habe ich durchaus verstanden“ sagt sie mit Freudentränen in den Augen. Lisa, die die alte Frau schnell sehr ins Herz geschlossen hat, umarmt diese spontan und küsst sie zum Abschied auf die Wange.

„Und noch was Kinder!“ sagt Sophia, als alle schon über die Türschwelle gehen, „im Zweifel folgt immer eurem Herzen und bleibt wahrhaftig, bleibt euch selbst treu!“

A

Vor dem Haus begrüßt die kalte Winterluft die Kinder. Es hat aufgehört zu schneien. Stattdessen leuchten viele helle Sterne am Himmel und verleihen so der hereingebrochenen Nacht noch mehr Glanz, als sie schon durch Schnee und Weihnachtsschmuck bekommen hat. Alle schauen zum Himmel und Lisa meint, eine Sternschnuppe gesehen zu haben. Vielleicht war das ein Zeichen von Ludwig, denkt sie und lächelt. Schließlich ist Weihnachten ja das Fest der Liebe!

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

Die Demokratie lebt vom Diskurs

oder

Die Anwendung von Gewalt stellt immer ein Versagen dar!

Gedanken zum Zeitgeist III – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

„Stuttgart 21“, Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, Gorleben, Hartz IV, Auslandeinsätze der Bundeswehr – die Liste ist lang, die Liste von in der Gesellschaft kontrovers diskutierten Themen. Zugleich ist dies eine Liste mit Entscheidungen von Politikern, für die sie häufig keine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich haben. Dann spitzen sich solche gesellschaftlichen Diskussionen so weit zu wie gerade in Stuttgart oder seit Jahren in Gorleben, dass die getroffenen Entscheidungen nur noch mit Polizeigewalt durchgesetzt werden können. – Ist das mit einer freien und demokratischen Gesellschaft noch vereinbar? Oder ist es nicht höchste Zeit, über das demokratische Selbstverständnis in Politik und Gesellschaft nachzudenken? Auf welcher Basis steht unsere demokratische Gesellschaft, was zeichnet sie aus? Die folgenden Gedanken wollen dies näher erörtern und Denkanstöße geben für eine dringend notwendige gesellschaftliche Diskussion.

„Die Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern der Sittlichkeit.“ Willy Brandt [1]

Die Demokratie lebt vom Diskurs und von der Achtung der Rechte aller Menschen, auch der anders denkenden (denn wer weiß schon sicher, was ist?). – Demokratische Entscheidungen sind nur dann demokratische Entscheidungen, wenn sie in einer offenen und freien Diskussion aller Beteiligten mit gleichen Bedingungen für alle gefunden werden – und wenn in dieser Diskussion von allen Beteiligten die Rechte und die Würde jedes einzelnen Beteiligten geachtet werden. Ziel muss dabei immer das Gemeinwohl sein, nicht die egoistischen Einzelinteressen.

Konkreter bedeutet das für einen demokratischen Entscheidungsprozess, es gibt eine entsprechende Diskussionskultur, allen Beteiligten stehen die gleichen (alle) Informationen und Hilfsmittel wie auch der Rat von Experten zur Verfügung und es gibt genügend Zeit, um sich auch ohne großes Vorwissen in das Thema einzuarbeiten und eine verantwortbare Entscheidung zu finden. Aus diesem Grund ist eine demokratische Gesellschaft auch an einer möglichst umfassenden und fundierten Bildung ihrer Glieder (der in ihr lebenden Menschen) interessiert – einer Bildung mit fächerübergreifendem Grundwissen und einer Charakterbildung mit zugehöriger Selbstachtung und Achtung allen anderen gegenüber. Denn, je fundierter diese Bildung der Menschen ist und je weniger sie unter Zeitdruck stehen, desto sicherer können sie die für eine vernünftige Entscheidung notwendige kritische Distanz zum Thema aufbauen und umso schneller und sicherer werden sie zu verantwortbaren Entscheidungen finden können. Das ist das Ideal.

Zur Verdeutlichung soll ein Blick in den philosophischen Unterbau dieses Gedankenganges dienen. Basis einer freien und demokratischen Gesellschaft ist der in der unbedingten Würde jedes einzelnen Menschen gründende Kategorische Imperativ: „handele nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.[2] Immanuel Kant sagt weiter: „Nun folgt hieraus unstreitig: daß jedes vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst, sich in Ansehung aller Gesetze, denen es nur immer unterworfen sein mag, zugleich als allgemein gesetzgebend müsse ansehen können, weil eben diese Schicklichkeit seiner Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung es als Zweck an sich selbst auszeichnet […]. Nun ist auf solche Weise eine Welt vernünftiger Wesen […] als Reich der Zwecke möglich und zwar durch die eigene Gesetzgebung aller Personen als Glieder.“[3]

Die repräsentative (parlamentarische) Demokratie ist eine pragmatische Abweichung vom zuvor beschriebenen Ideal. In der parlamentarischen Demokratie werden die politischen Entscheidungen in den Parlamenten getroffen. Die Parlamentarier entscheiden stellvertretend für alle Menschen (ihre Wählerinnen und Wähler und deren Kinder). Mittlerweile geht diese Abweichung vom Ideal aber noch weiter. In unserer parlamentarischen Demokratie werden viele politische Entscheidungen faktisch nicht in den gesetzgebenden (legislativen) Parlamenten, sondern auf der eigentlich ausführenden (exekutiven) Ebene in den Regierungen und deren Ämtern gefällt (aktuelles Beispiel sind die Geheimverhandlungen zur Inbetriebnahme von Gorleben). Entsprechend findet ein gesellschaftlicher Diskurs allenfalls begleitend statt und beeinflusst die politischen Entscheidungen nicht zwingend! Diese starke Abweichung vom Ideal öffnet die Tür für eine vielfältige Einflussnahme von einzelnen Interessengruppen. Tatsächlich werden viele Gesetze in Ministerien geschrieben und nicht in parlamentarischen Arbeitsgruppen. Und in diesen Ministerien sitzen häufig von betroffenen Industriekonzernen bezahlte „Leiharbeiter“ mit an den Schreibtischen.

Dem Volk bleibt nur der Weg auf die Straße

Für den eigentlichen Souverän in einem demokratischen Staatswesen, dem Volk, bleibt kaum noch Raum für eine Einflussnahme. Neben dem Engagement in Parteien (die zu Machtverteilungs- und Machterhaltungsvereinen zu verkommen scheinen) und Bürgerinitiativen (mit entsprechend eingeschränkter Einflussmöglichkeit) bleibt nur der Weg auf die Straße. Gerade in unserer heutigen Mediengesellschaft, kann eine öffentliche Aufmerksamkeit nur mit auffälligen Aktionen erreicht werden. Wenn immer mehr Menschen möglichst oft und lange auf die Straße gehen, wird auch die Aufmerksamkeit der Medien größer. Nur so werden weitere Menschen (Wählerinnen und Wähler) aufmerksam und letztlich auch Politiker und Politikerinnen. Bleiben diese dann unnachgiebig, helfen mitunter nur noch über das einfache Demonstrieren hinausgehende phantasievolle, gewaltfreie (!) Aktionen. Das zeigen die von den politisch Verantwortlichen gegen ein offensichtliches Interesse vieler Bürgerinnen und Bürger zugespitzten Auseinandersetzungen um Themen, wie vor Jahrzehnten beim nuklearen Wettrüsten, wie seit Jahrzehnten in Gorleben (stellvertretend für eine verantwortungslose Atompolitik) oder aktuelle in Stuttgart (für ein Prestigeobjekt einiger Politiker und Konzerne). Hier werden Sitzblockaden oder Besetzungen von Bäumen, Gebäuden oder Maschinen durchaus zu einem angemessen und legitim erscheinenden Mittel, sich Gehör zu verschaffen. Wie für die staatlichen Gewaltorgane ist hier sicher eine Verhältnismäßigkeit zu beachten. Jedoch sind die Bürger zunächst immer in einer schwächeren Position!

Wegen der eingeschränkten Möglichkeit zur Einflussnahme für die Bürgerinnen und Bürger ist in einer parlamentarischen Demokratie das Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger das neben dem Wahlrecht höchste Gut. Denn es ist neben dem Gang zur Wahlurne (alle paar Jahre) die einzige Möglichkeit, auf aktuelle politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Dies gehört im Übrigen zum verfassungsrechtlichen Grundwissen jedes Polizeibeamten und es irritiert umso mehr, wenn der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Voßkuhle dies in Frage stellt![4]

Bei der Betrachtung der aktuellen verschärften Auseinandersetzung in Stuttgart um das Projekt „Stuttgart 21“ stellen sich nun zwei grundsätzliche Fragen: Wie demokratisch und grundgesetzkonform denken Politikerinnen und Politiker (und auch Konzernchefs – Betriebe stellen keinen grundrechtsfreien Raum dar!), die ein so umstrittenes Projekt gegen einen deutlichen Widerstand in der Bevölkerung mit Polizeigewalt durchzusetzen versuchen? Und wie stark fühlen sich die dafür eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten noch dem demokratischen Rechtsstaat und seiner Verfassung verpflichtet, die „blind“ mit Gewalt gegen friedlich demonstrierende Menschen vorgehen?

Die Antworten darauf müssen vor allem die so Befragten selbst für sich finden. Was ist aber neben dem bereits gesagten zu beachten?

Unverletzliche und unveräußerliche Menschrechte

Am 10. Dezember 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“[5] verabschiedet. Deutschland hat sich wenig später nach grausam schmerzhaften Erfahrungen eindeutig dazu bekannt („Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Art. 1 Abs. 2 GG)). Seit 1949 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz als alles gründende und alle in diesem Staat lebenden Menschen verpflichtende Basis! In Artikel 1 wird die Würde des Menschen für unantastbar erklärt! Und „sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 Abs. 1 GG). Das gilt gleichermaßen für die verantwortlichen Politiker wie Ministerpräsident Mappus oder Innenminister Rech wie auch für die eingesetzten Polizeikräfte.

Umso mehr befremdet es, wenn die verantwortlichen Politiker nach dem brutalen Einsatz am 30. September 2010 keine Einsicht zeigen, sondern wider besseres Wissen friedliche Demonstranten zu Gewalttätern erklären. Anstatt das totale Versagen einzugestehen angesichts der Polizeigewalt sogar gegen Kinder, sprechen sie diesen zehn oder zwölf Jahre alten Menschen jede Fähigkeit ab, sich bereits ein politisches Urteil bilden zu können (was bei Betrachtung der betriebenen Bildungspolitik möglicherweise ja zumindest gewünscht ist).

Polizisten sind Verteidiger des demokratischen Rechtsstaats, nicht der Mächtigen

Wenn dabei auch noch alle Polizisten in Deutschland tatsächlich so denken würden, wie der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt, der den Einsatz der Beamten in Stuttgart mit folgenden Worten rechtfertigte: „Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie“[6], dann befände sich unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft möglicherweise bereits wieder auf dem Weg in die Unfreiheit. Denn dann könnten wir Bürgerinnen und Bürger uns nicht mehr auf die Menschen verlassen, die sich – achtenswerterweise! – bereiterklärt haben, diese Freiheit und Demokratie zu schützen. Polizistinnen und Polizisten sind Verteidiger des demokratischen Rechtsstaats, nicht der Mächtigen! Das Image der Polizei hatte sich seit den 1960er Jahren zunächst nach und nach stark verbessert. Seit einiger Zeit bekommt der wache Bürger vor allem bei Demonstrationen aber immer häufiger den Eindruck, wieder auf dem Weg in einen Polizeistaat zu sein. Die Verantwortung dafür tragen in erster Linie die politischen Entscheidungsträger! Aber jeder einzelne Polizist, jede einzelne Polizistin muss sich fragen, ob er beziehungsweise sie solche Einsätze mit seinem beziehungsweise ihrem Gewissen (und seinem/ihrem Eid auf die Verfassung) noch vereinbaren können? Wenn wir Deutschen in diesem Zusammenhang auf eine Lehre aus dem Dritten Reich zurückgreifen können, dann auf folgende: Befehle müssen nicht um jeden Preis ausgeführt werden, es kann sogar menschlich notwendig sein, sie zu verweigern!

Nicht im Stich lassen

Die deutlich besonnenere Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei (GdP, größte deutsche Interessenvertretung der Polizei) stimmt zum Glück wieder hoffnungsvoller, indem sie feststellt: „Fehlende politische Überzeugungskraft kann nicht durch polizeiliches Handeln ersetzt werden“[7]. Wenn der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg dann weiter sagt: „Ich appelliere aber auch an alle Bürgerinnen und Bürger, die Polizei nicht im Stich zu lassen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass Gewalt und Rechtlosigkeit auch sie treffen könnten“[7], dann stößt dies durchaus auf Verständnis und Zustimmung. Nur darf die Polizei dann eben auch uns Bürgerinnen und Bürger nicht im Stich lassen. Uns alle, aber vor allem die verantwortlichen (hoffentlich demokratisch gesinnten) Politikerinnen und Politiker sollte dieser eindeutige Hilferuf nachdenklich stimmen.

Wer den Polizeieinsatz vom 30. September in Stuttgart sieht, bekommt auch eine Ahnung davon, was Politiker wie Wolfgang Schäuble im Schilde führen mögen, wenn sie seit Jahren vehement den Einsatz der Bundeswehr im Innern fordern. Auch hier sollten wir uns an die Lehren aus unserer Geschichte erinnern, wo in den Anfängen der Weimarer Republik die Reichsregierung (demokratiefeindliche) Freikorps-Soldaten einsetzte, um die Republik zu retten und wo am Ende dieser unsäglich begonnenen Entwicklung diese in einem Polizeistaat unerreichter „Güte“ mündete. Soldaten – welcher Gesinnung auch immer – sind eben keine Polizisten.

Nur mit dem Wagen von mehr Demokratie können wir diese retten

Normale Bürger und vor allem Schülerinnen und Schüler verlieren bei einer Erfahrung wie der in Stuttgart den Glauben an unseren Rechtsstaat. Ist das vielleicht das Ziel der verantwortlichen Politiker?

Wenn das nicht das Ziel ist, mögen diese Politiker und Politikerinnen sich bitte an die Worte Willy Brandts erinnern: „Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen“[8], und zum Beispiel für mehr faire Bürgerbeteiligung bei solch gewichtigen Projekten sorgen. Nur mit dem Wagen von mehr Demokratie können wir diese retten und nicht mit der zunehmenden Einschränkung und Abschaffung demokratischer Rechte! Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 GG), nicht von der Regierung, nicht von der Polizei und schon gar nicht von einem Wirtschaftsunternehmen!

Gegen die hier dann gerne angeführte Kritik, die Menschen wären für mehr Bürgerbeteiligung noch nicht reif, ist noch einmal Immanuel Kant heranzuziehen. Begründet in seinem Verständnis von Freiheit war Kant eindeutig ein Verfechter möglichst umfassender Freiheiten für jeden Menschen. Dabei sah er deutlich den langwierigen und schwierigen Weg, der zu deren Verwirklichung führt. Ihm war klar, dass die Verwirklichung von Freiheiten auch mit Risiken und Rückschlägen verbunden sein würde, aber die Freiheit ‘richtig’ zu Nutzen lernt der Mensch nur in Freiheit:

„Ich gestehe, daß ich mich in den Ausdruck, dessen sich auch wohl kluge Männer bedienen, nicht wohl finden kann: Ein gewisses Volk (was in der Bearbeitung einer gesetzlichen Freiheit begriffen ist) ist zur Freiheit nicht reif … Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten; denn man kann zu dieser nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist … Die ersten Versuche werden freilich roh, gemeiniglich auch mit einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden sein, als da man noch unter den Befehlen, aber auch der Vorsorge anderer stand; allein man reift für die Vernunft nie anders, als durch eigene Versuche (welche machen zu dürfen man frei sein muß).“[9]

Die großartige Leistung der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR

Das Wagnis der Freiheit gelingt nicht ohne stetes Bemühen, aber es gibt keine vernünftige Alternative. Gerade in diesen Tagen können wir freilich Mut schöpfen. Erinnern wir Bürgerinnen und Bürger uns vielleicht gerade jetzt – im Umfeld des zwanzigsten Jahrestages der deutschen Einheit und dem nahen 21sten Jahrestages des Mauerfalls – an die großartige Leistung der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR (und im Hintergrund auch an die Zurückhaltung der dortigen Polizei- und Armeekräfte). Das Volk der DDR schaffte es, sich ohne Gewalt durch stetiges und unnachgiebiges Bemühen gegen die Herrschenden durchzusetzen. Was damals galt, gilt auch heute:

Wir sind das Volk!

Und was damals wohl alle Beteiligten im Bewusstsein hatten gilt grundsätzlich: Die Anwendung von Gewalt stellt immer ein Versagen dar!

Das heute zunehmend mehr Menschen für ihre Rechte und ihre Meinung auf die Straße gehen, gibt Hoffnung! Denn wenn alle Menschen (Politiker wie normale Bürgerin) diese Chance erkennen, kann diese Entwicklung auch in eine politische Ordnung münden, die dem anfangs beschriebenen Ideal näher kommt.

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Nachsatz zu Äußerungen aus der Wirtschaft

Aus Wirtschaftskreisen wird politischer Protest gern als schädlich für die Wirtschaft und somit verantwortungslos bezeichnet. Nun mag politischer Protest mitunter tatsächlich Wirtschaftsprozesse behindert. Aber jeder Mensch muss sich fragen, was ihm das Leben und die Freiheiten anderer Menschen jetzt und in der Zukunft wert sind. Und das hier beschriebene anzustrebende demokratische Ideal gilt als Grundlage für alle gesellschaftlichen Prozesse, also auch für die wirtschaftlichen.

Nun kann möglicherweise niemand erwarten, dass Wirtschaftsunternehmen beziehungsweise die in ihnen Verantwortung tragenden Menschen einfach das bestehende Wirtschaftssystem von heute auf morgen umwerfen. Das wäre dann wahrscheinlich auch volkswirtschaftlich schädlich. Aber verantwortungsbewusst entscheidende und handelnde Menschen unterstützen nach ihren Möglichkeiten demokratische Prozesse und behindern sie nicht. Wer nur dem Primaten der Ökonomie folgt, handelt egoistisch und damit meist auch gegen das Gemeinwohl.

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Weitere Informationen:

Ein interessanter Kommentar mit zwei eingebundenden aufschlussreichen Video- bzw. Fernsehaufnahmen findet sich unter:

http://www.spiegelfechter.com/wordpress/4202/der-bahnhof-des-himmlischen-friedens#more-4202

Und angesichts der unverhältnismäßigen Polizeigewalt sei hier auch an eine laufende Aktion von Amnesty International Deutschland erinnert:

http://www.amnestypolizei.de/mitmachen/fordern.html

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Quellen

[1] Willy Brandt, Erinnerungen, 1989, zitiert nach Wikiquote (http://de.wikiquote.org/wiki/Willy_Brandt).

[2] Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hrsg. Von Theodor Valentiner. Stuttgart: Reclam, 1991 [(1) 1785], S. 68 (Hervorhebung im Original).

[3] Kant, Grundlegung, S.92.

[4] Radiomeldung im Deutschland Funk vom 9. Oktober 2010 (http://www.dradio.de/nachrichten/201010090400/6).

[5] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung 1948 (http://www.amnesty.de/umleitung/1899/deu07/001?lang=de%26mimetype%3dtext%2fhtml).

[6] „Polizeichef traute eigenen Beamten nicht“, Spiegel-Online vom 2. Oktober 2010 (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,720844,00.html).

[7] Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei vom 11.10.2010 (http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/ID/56BD03CDD23D9E43C12577B9001F4070?Open).

[8] Wahlkampfplakat aus 1972.

[9] Immanuel Kant: zitiert nach Ingeborg Maus: Zur Aufklärung der Demokratietheorie: Rechts- und demokratietheoretische Überlegungen im Anschluß an Kant. Suhrkamp-Taschenbuch. Frankfurt /Main: Suhrkamp, 1994, S. 128 (Hervorhebungen im Original).

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Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

I. Tapfer sterben für …

II. Der Finger in der Wunde

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

IV. Mehr Schein als Sein

V. Begründung einer Hoffnung

VI. Wer das Geld hat –

VII:.…

II. Das Recht, immer das laut zu sagen, was ist

Der Finger in der Wunde

oder

Das Recht, „immer das laut zu sagen, was ist“

Gedanken zum Zeitgeist II – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Allem Anschein nach befinden wir uns auf einem Weg, der in eine gefährliche Richtung führt. Doch wahrnehmen wollen wir dies nicht. Menschen, die Kritik an Missständen und Fehlverhalten äußern, werden lieber als Moralisten und Bedenkenträger bezeichnet und diffamiert. Anstatt ihre Kritik zum Anlass zu nehmen, über das Kritisierte nachzudenken, wird nur streng geprüft, wie diese Menschen selbst leben. Und wenn sie dann kein völlig untadeliges Leben führen (also normale Menschen sind), wird ihnen das Recht, Kritik üben zu dürfen abgesprochen. – Doch ist das zulässig – und hilfreich?

Frohe Kunde ist jederzeit willkommen. Eine angenehme Wahrheit hören wir alle gerne. Unbequeme Wahrheiten jedoch hört niemand gern. Aber schon Goethe wusste: „… auch eine schädliche Wahrheit ist nützlich, weil sie nur Augenblicke schädlich sein kann und alsdann zu anderen Wahrheiten führt, die immer nützlich werden müssen …“. Mit anderen Worten: Wenn wir die Augen vor der Realität verschließen, dann ändert sich die Realität dennoch nicht. Im Gegenteil, ungünstige Entwicklungen schreiten weiter voran. Und wir verpassen möglicherweise die letzte Gelegenheit, die Entwicklung in eine günstigere Richtung zu leiten. Es ist also unausweichlich notwendig, sich jederzeit jeder Wahrheit zu stellen. Denn nur dann haben wir die Möglichkeit, gefährliche Entwicklungen zu erkennen und mögliche Auswege zu finden.

Auf den einzelnen Menschen bezogen kann es persönliche Umstände geben, die für den Augenblick eine Wahrheit als nicht verkraftbar erscheinen lassen. Und die persönlichen Umstände können für den Augenblick den einzelnen Menschen auch am entschlossenen Handeln hindern. Das darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Wie auch ein einzelner Mensch sich in der Regel nicht völlig aus den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lösen kann und muss, wenn er eine gefährliche Entwicklung erkannt hat. Denn er wurde wie jeder andere Zeitgenosse ungefragt in diese Rahmenbedingungen hineingeboren und „muss“ in ihnen leben.

Über jeden Tadel erhaben?

Womit wir auch im eigentlichen Thema dieses Gedankenganges angekommen sind: Darf ein Mensch nur dann kritisieren, wenn er selbst über jeden Tadel erhaben ist? Darf zum Beispiel ein Mensch nur dann Kritik an unserer automobilen Gesellschaft üben, wenn er selbst kein Auto hat und fährt?

Solche Forderungen gehen häufig an Kritik aussprechende Menschen, wenn sie sich erlaubt haben, eine unbequeme Wahrheit zu verkünden. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass sie einen wichtigen Hinweis gegeben haben, sondern sie werden lieber gefragt: Wie hältst du es denn selbst damit?

Und der Grund für eine solche Reaktion ist häufig Bequemlichkeit, mitunter auch purer Egoismus. Denn, wenn ich eine Wahrheit anerkenne, geht ja zugleich die Forderung an mich, etwas gegen die erkannte fehlerhafte oder gar gefährliche Entwicklung zu unternehmen. Doch unsere Bequemlichkeit will uns davon abhalten. Und der Egoist will unbequeme Wahrheiten ohnehin nur dann wissen, wenn sie ihn unmittelbar betreffen. Sonst sind sie ihm gleichgültig. Wenn sie aber ausgesprochen werden, könnte er sich aus sozialen Verpflichtungen heraus genötigt sehen, handeln zu müssen.

Unsere Bequemlichkeit und auch unser Egoismus verleiten uns deshalb gerne dazu, Kritiker lieber mundtot zu machen. Vor dem Aussprechen von Wahrheiten steht schon ihre Verheimlichung. Nach dem Aussprechen der Wahrheit beginnt der Widerstand mit der Diskreditierung des Kritikers. Je unfreier eine Gesellschaft ist, kann es dann weitergehen mit Verfolgung, Inhaftierung, Folter und sogar Mord! Das mag für uns hier in der Bundesrepublik Deutschland drastisch klingen. Der zugrunde liegende Gedanke konsequent zu Ende gedacht führt aber unausweichlich an solch drastische Punkte. Deshalb kam Rosa Luxemburg (Bild 2) auch zu ihrer bekannten Aussage:  [es] ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ›das laut zu sagen, was ist‹.“ Und Rosa Luxemburg bezahlte diese Geisteshaltung schließlich dann auch mit ihrem Leben!

Wir dürfen also nicht vergessen: In einer freien Gesellschaft ist die Freiheit des Wortes eine zwingende Notwendigkeit für den Erhalt der freien Gesellschaft! Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes diese Freiheit auch in den unveräußerlichen Grundrechten festgeschrieben (Art. 5 Abs. 1 GG).

Zurück zur Kernfrage. Wie statthaft ist eine Kritik, wenn ein Kritiker sich gleichfalls kritikwürdig verhält?

Grundsätzlich gilt: Wenn jemand einen Zustand oder eine Handlungsweise als kritikwürdig erkennt, darf dieser Jemand seine Kritik auch äußern! Und dieses Recht steht selbstverständlich jedem Menschen zu. Schließlich ist kein Mensch unfehlbar! Und wenn nur Menschen ihre kritischen Gedanken äußern dürften, die über jeden Tadel erhaben sind, gäbe es wohlmöglich kaum noch Kritiker (was manche Zeitgenossen sicher begrüßen würden). Selbstverständlich geht mit meiner Äußerung einer Kritik auch die Forderung an mich selbst, an der Beseitigung des kritikwürdigen Zustandes mitzuwirken. Aber mit dem aussprechen der Kritik erkläre ich mich ja nicht zu einem „heiligen“ und unfehlbaren Menschen und verwirke ich selbstverständlich auch nicht mein Recht, am „normalen“ Leben teilzuhaben.

Auch im strengen kantischen Sinne charakterstarke Menschen schaffen es im alltäglichen Handeln kaum, ohne Fehl und Tadel zu bleiben – zumal es immer Bereiche geben wird, in denen Verhalten unterschiedlich bewertet werden kann und darf. Wenn wir die kantische Strenge nicht absolut streng interpretieren, dürfen wir jedem Menschen auch wieder Fehler zugestehen. Zu viele Umstände und Einflüsse behindern uns oder verstellen uns den Blick. – Wird diese Forderung aber von außen an einen Menschen herangetragen, kehrt sich die Forderung ohnehin schnell um. Denn, wer von anderen völlige Unfehlbarkeit fordert, muss nach eigenem Urteil selbst unfehlbar sein! Doch es geht hier weder um Unfehlbarkeit noch darum, Fehlverhalten nur bei anderen suchen zu müssen. Wesentlich ist es aber, sich jederzeit zu bemühen, ein auch im letzten Augenblick noch verantwortbar erscheinendes Leben zu führen. Und dabei hilft auch Kritik von außen.

Rechte von wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig

Von diesem Ausflug zum Grundsätzlichen zurück zum Handeln im Alltag. Da können genannte Forderungen an Kritiker schnell dreiste Züge bekommen. Bei manchem Verhalten kommt es in unserer materiellen Gesellschaft auch auf die persönlichen materiellen Möglichkeiten an. Wer mit ALG II auskommen muss, wird sich bei seinen Lebensmitteleinkäufen kaum auf Bio- und Transfair-Produkte beschränken können – jemand mit einem fünfstelligen Monatseinkommen eigentlich schon. Hier würde die Forderung also in eine Oligarchie führen, in der die Rechte des einzelnen Menschen von dessen wirtschaftlichen Verhältnissen abhängen und nicht mehr von seinem Recht, das er als in diese Welt geborener Mensch besitzt! Das scheinen einige der derzeit politische Verantwortung tragenden Menschen (und ihre Wähler) tatsächlich im Schilde zu führen. Richtig ist es deshalb dennoch nicht.

Kritik hilfreich und notwendig

Es bleibt also festzuhalten: die Kritik der „Moralisten und Bedenkenträger“ ist nicht nur zulässig, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen ist meist sogar hilfreich, häufig sogar notwendig! Die Forderung kann also nicht lauten: Mach erst mal selbst alles besser (während wir weiter unser bequemes, verantwortungsloses Leben leben). Sondern sie sollte vielmehr lauten: Last uns das erkannte Problem gemeinsam angehen! Nur so sind für alle Menschen gangbare und zumutbare Wege zu finden.

Wir können aber auch jede Mahnung in den Wind schlagen. Nur dann müssen wir auch bereit sein, mit den Konsequenzen zu leben (und am Ende zu sterben) – Konsequenzen für uns, Konsequenzen für andere Menschen in der Welt und Konsequenzen für unsere Kinder und Kindeskinder in der Zukunft!

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Weitere Informationen zu Tolstoi (Bild 1) und Bruno (Bild 3) finde sich zum Beispiel bei Wikipedia.

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Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

I. Tapfer sterben für …

II. Der Finger in der Wunde

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

IV. Mehr Schein als Sein

V. Begründung einer Hoffnung

VI. Wer das Geld hat –

VII:.…

Der Löwe unterm Hakenkreuz

Buchvorstellung

Reinhard Bein, Ernst-August Roloff (Hrsg.)

Der Löwe unterm Hakenkreuz: Reiseführer durch Braunschweig und Umgebung 1930-1945.

Mit weiteren Beiträgen von Susanne Weihmann und Elke Zacharias.

Göttingen: MatrixMedia GmbH Verlag, 2010.

Kartoniert, 330.

ISBN: 978-3-932313-36-3

[Die Quellenangabe bezieht sich auf die der Rezension zugrunde liegende Ausgabe]

(re) In Braunschweig und im Braunschweiger Umland finden sich zahlreiche Spuren aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Und das ist nicht ohne Grund der Fall. Braunschweig war von Anbeginn ein wichtiger Stützpunkt für die Nationalsozialisten. In Braunschweig wurde der Österreicher Adolf Hitler deutscher Staatsbürger, hier schuf sich der „Reichsjägermeister“ Hermann Göring Kultstätten für seine Jagdleidenschaft, hier kam es schon 1931 zu großen Aufmärschen der SA (Bild) und hier wuchs eine für die Rüstung wichtige Industrie. Das nun (2010) vorgelegte Buch zeigt interessierten Besuchern und auch Einheimischen die vielen Orte, die bis heute noch Spuren aus dieser Zeit bergen. Sei es die Weihestätte im Hainberg bei Bockenem oder die Mustersiedlung Lehndorf. Ein Buch, dass auch gegen das Vergessen hilft. – Denn nur, wer die Wege der Vergangenheit kennt, kann erahnen, wo künftige Wege hin führen (können).

Umschlagtext:

Im September 1930 traten die Nationalsozialisten im Freistaat Braunschweig in eine Regierungskoalition ein. Diesen Vorsprung nutzte die NSDAP im Braunschweiger Land, um die Nazifizierung tiefgreifender und gründlicher voranzutreiben, als in anderen Ländern des Reiches. Durch den fatalen Ehrgeiz des Ministers Klagges und seiner Gefolgsleute, Braunschweig zu einem Nazi-Musterland machen zu wollen, erlebte das Land eine Herrschaft des politischen Banditentums. In Braunschweig ist die Gegenwart – fast unsichtbar und doch immer spürbar – mit den Abgründen der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden.

Abenteuer auf dem Acker

Ein Hauch von Abenteuer auf dem Acker

Ausflugsziele in Ostfalen – Natur, Geschichte, Gegenwart

Über Stock und Stein führt der Weg auf Höhen jenseits der 800 Meter mitten in den Nationalpark Harz zur sagenhaften Hanskühnenburg und bergab und bergauf zurück zur Stieglitzecke. Bei rauem Wetter weht ein Hauch von Abenteuer über die Wipfel der Bäume.

Anfahrt: mit dem Pkw oder mit dem Bus, Fahrplanauskünfte:

Ausgangspunkt: Harz, Niedersachsen, Parkplatz und Bushaltestelle „Stieglitzecke“ an der Bundesstraße 242 zwischen Clausthal-Zellerfeld und Sankt Andreasberg Ortsteil Sonnenberg

Länge: etwa 18 km

Höhen: zw. 630 m u. 835 m ü. NN (inkl. Turm), zu Überwinden sind ca. 590 Höhenmeter auf u. ab

Beschaffenheit: Forststraßen, zwei längere Abschnitte auf steinigen und teilweise feuchten Pfaden

Rast: Bänke, Schutzhütten, eine Waldgaststätte

Kennzeichnung der Wege: Wie im Harz allgemein üblich sind die Wege meist gut beschildert und ausgezeichnet. Dies erfolgt in der Regel durch die Zweigvereine des Harzklubs, hier in Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Harz.

Grundsätzliche Ratschläge: finden sich bei Gedanken, Hinweise und Tipps zum Wandern

Sankt Andreasberg. (re) Das Acker-Bruchberg-Massiv ist ein markanter Teil des Oberharzes und gehört zu einem großen Teil zum Nationalpark Harz. Der Höhenzug „Auf dem Acker“ erstreckt sich vom Südwesten nach Nordosten und erreicht dabei Höhen von mehr als 850 Metern über Normal Null (NN). Am Übergang in den „Bruchberg“, der deutlich über die 900 Meter über NN hinausragt, verläuft die B242 vom Sonnenberg nach Clausthal-Zellerfeld. Auf dem Scheitelpunkt der Straße befindet sich die Stieglitzecke und unweit davon in Richtung Clausthal ein großer Parkplatz (Bild 1). Im Winter ist dies ein beliebter Ausgangspunkt für Skilanglauftouren in dieser bisher recht schneesicheren Höhenlage. Für Wanderungen auf dem Acker gibt es hier zwei Wege, die Ackerstraße auf der Südseite des Höhenzuges und den Reitstieg auf der Nordseite. Die Gipfelbereiche des Acker-Bruchberg-Massivs gehören größtenteils zur Kernzone des Nationalparks und sind deshalb für den Zutritt gesperrt. Nationalparks werden unter anderem dazu eingerichtet, die regionale Tier- und Pflanzenwelt zu schützen. Dies dient letztendlich auch dem Erhalt der für den Menschen lebensnotwendigen Lebenswelt. Die dem Betrieb des Nationalparks dienenden Vorschriften (Bild 2) sollten also unbedingt befolgt werden. Außerdem sollten Wanderin und Wanderer ihre Tour immer gut vorbereitet und mit dem passenden Schuhwerk, passender Kleidung und Ausrüstung starten.

Landschaftlich reizvolle Tour

Die landschaftlich reizvolle Tour zur Hanskühnenburg führt streckenweise über einfache Wanderpfade. Teilweise sind sie sehr steinig beziehungsweise felsig, mitunter auch feucht (Bild 3). Entsprechend ist ein festes und wasserdichtes Schuhwerk unbedingt notwendig. Durch die unwegsamen Wegabschnitte wird diese Tour nicht als Fahrradtour empfohlen. Allenfalls mit einem guten Mountainbike kann auf den meisten Abschnitten auch tatsächlich geradelt werden.

Die Tour führt auf dem Reitstieg hin zur Hanskühnenburg und kommt am Ende auf der Ackerstraße zurück. Für den Hinweg auf dem Reitstieg kann grob gesagt werden, dass es auf deutlich sichtbaren Wegen im Zweifel immer hangseitig, also südlich weiter geht. Denn durch den Schutz der Nationalpark-Kernzone führen keine Wege mehr hinauf auf den Kamm des Ackers. Der Reitstieg beginnt direkt am Parkplatz, wo sich auch eine Bushaltestelle befindet. Nach Südwesten führt eine Forststraße in den Fichtenwald. Nach etwa einem Kilometer gibt es eine Querverbindung zur Ackerstraße. Bald danach wird aus der geschotterten Forststraße ein steiniger Weg. Nun macht sich gutes Schuhwerk bezahlt. Zwischendurch führt der Weg wieder etwas herab und geht wieder in eine Forststraße über. Am Auerhahnplatz führt der Weg links (südlich) relativ steil bergan. Nach dieser Steigung wird es dann wieder ein einfacher Pfad, der nun durch die moorige Hochebene des Ackers führt. Hier gibt es immer wieder feuchte und moorastige Stellen. Die ganze Hochlage des Acker-Bruchberg-Massivs ist feucht, teils sogar ein Hochmoor.

Beides trägt den Namen Hanskühnenburg

Vorbei an einer kleineren Klippe werden bald ein mächtiger Felsen und ein Turm mit einem Satteldach sichtbar. Beides trägt den Namen Hanskühnenburg. Zunächst taucht der Felsen rechts (nördlich) neben dem Weg auf. Auf kurzen schmalen Pfaden durch die Blaubeeren kann dieser besucht werden. Der Felsen, die Hanskühnenburg-Klippe, war der Namensgeber für die Baude. Der Name dieses Naturdenkmals geht auf eine Sage zurück.

Hanskühenburg-Sage

Nach der Sage hielt sich hier der Raubritter Hans der Kühne verborgen. Nachdem er eine schöne Jungfrau entführt hatte, wurde er von dieser verflucht. Alsbald versank er samt Burg und Spießgesellen im Erdboden. Die Felsen sind die Reste der Burg, unter der ungeheure Schätze verborgen sein sollen.[1]

Mitte bis Ende des 18ten Jahrhunderts nahm der Tourismus im Harz zu. Zur Förderung wurde seinerzeit der Harzklub gegründet. Die Zweigvereine des mittlerweile auch dem Natur- und Umweltschutz verpflichteten Vereins betreuen bis heute die Wanderwege im Harz und in den Vorgebirgen. Der Bau von Schutzhütten und Ruhebänken gehört dazu wie der Bau von Wegen und deren Beschilderung. In der Anfangsphase des Vereins wurde auf den Harzbergen zahlreiche Aussichtstürme errichtet und später häufig mit einfachen Gaststätten ergänzt. In dieser Zeit wurde in der Nähe des Felsens so ein Aussichtsturm errichtet. Der einfache Holzturm wurde später durch den heutigen Steinbau ersetzt. Im Erdgeschoss des Turms wurde dann eine Baud, eine Waldgaststätte eingerichtet. Nach mehrfachen baupolizeilichen Schließungen kam es Mitter der 1970er Jahre zu einer kompletten Sanierung und Erweiterung des Gebäudes durch den neuen Träger Landkreis Osterode. Seit der Eröffnung der Ackerloipe gibt es vor allem im Winter einen großen Ansturm durch Skilangläufer. In der einfachen Selbstbedienungsgaststätte gibt es eine überschaubare Speisekarte mit schmackhafter, deftiger Kost und erfrischenden oder heißen Getränken. Wie in den meisten Waldgaststätten des Harzes ist der Empfang freundlich (inklusive dem netten Hund). Bei guter Sicht kann von dem Turm aus der gesamte Harz überblickt werden (Bild 4). Die Hanskühnenburg ist auch eine Stempelstelle der Harzer Wandernadel und liegt zudem seit 2010 am Harzer Baudensteig.

International berühmt durch Waldsterben

International berühmt geworden ist die Hanskühnenburg durch das Waldsterben. Noch in den 1970er Jahren war der Turm von hohen Fichten umgeben, die die Aussicht behinderten. Die Bäume standen bis an die Gaststätte. Später in den 1980er Jahren war die gesamte Hochlage des Ackers mehr oder weniger frei von hohen Bäumen. Vergleichende Bilder fanden sich allerorten bei Berichten zum Thema Waldsterben in Deutschland. Mittlerweile wachsen die Fichten wieder und der Wald auf dem Acker scheint sich erholt zu haben. Noch haben die Bäume die alte Höhe nicht erreicht, aber in einigen Jahren fühlen sich Besucher aus den 1970er Jahren vielleicht wieder an diese Zeit erinnert.

Gedenkstein nicht mehr zeitgemäß

Gegenüber dem Eingang zur Baude befindet sich der kleine Hanskühnenburg-Felsen. An diesem sind zwei Gedenktafeln angebracht. Gut sichtbar ist eine 1999 angebrachte Bronzetafel, die an den Besuch der Hanskühnenburg-Klippe von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1784 erinnert. Ein zweiter Gedenkstein wurde 1924 aufgestellt und ist mittlerweile umgekippt und bereits etwas verwittert. Dieser Stein erinnerte an Albert Leo Schlageter, Offizier im Ersten Weltkrieg und dann in der Weimarer Republik in verschiedenen Freikorps, der 1923 bei der Ruhrbesetzung vom französischen Militär hingerichtet wurde. Die Rolle der Freikorps in der Weimarer Republik, Schlageters Teilnahme am Kapp-Putsch und seine Nähe zu den Nationalsozialisten lassen einen solchen Gedenkstein heute nicht mehr zeitgemäß erscheinen.

Nach der empfehlenswerten Rast in der Waldgaststätte geht es nach Süden zunächst steil bergab. Über ein paar Kurven mündet die Forststraße hinab in die Ackerstraße. Vor allem für Skilangläufer sei hier auf die Steilheit und die damit verbundene Gefahr dieses Wegabschnitts verwiesen! Je nach Fahrtrichtung ist dies auch für eine Tour mit dem Fahrrad von Interesse. Der Rest der Tour führt nur noch über Forststraßen, zunächst halbrechts bergab sogar auf Asphalt. Nach gut fünfhundert Metern gibt es eine Linkskurve. Weiter bergab in der nächsten Kurve führt die Tour auf eine dort links abzweigende geschotterte Forststraße, den Kirchtaler Planweg.

Aktueller Hinweis für das Jahr 2010!

Dieser Weg ist seit Juni 2010 wegen eines Bergsturzes gesperrt. Die Sanierungsarbeiten scheinen aber kurz vor dem Abschluss zu stehen, so dass der Weg wahrscheinlich schon bald wieder freigegeben wird. So lange kann die Tour erlaubtermaßen nur weiter oben auf der Ackerstraße fortgesetzt werden. In diesem Fall kann der nächste Anlaufpunkt, die Waidmanns Ruhe, auf der nächsten talwärts abzweigenden Forststraße angelaufen werden.

Zurück zur Ackerstraße

Weitgehend parallel zum Hang führt der Weg vorbei an einem Abzweig ins Tal. An der nächsten Weggabelung führt die Tour dann rechts bergab. Für eine Rast und gegebenenfalls auch für den Stempel der Harzer Wandernadel geht es zuvor aber kurz einige Meter den Weg bergan zur Schutzhütte Waidmanns Ruhe mit Stempelstelle. Weiter führt der Weg etwa zwei Kilometer parallel zum Hang zu einer großen Wegekreuzung, dem Schmierplatz. Hier führt der linke Weg steil bergan zurück zur Ackerstraße. Auf diesem Stück der Ackerstraße verläuft die Wanderung zugleich auf dem Europäischen Fernwanderweg E6. Nochmals wird eine Schutzhütte, die Hubertushütte (Bild 5), passiert. Dann windet sich die Forststraße langsam wieder bergan zurück zur B242. Direkt an der Straße befindet sich eine letzte Schutzhütte, die Magdeburger Hütte. Von hier sind es nur noch wenige Meter zurück zum Parkplatz beziehungsweise der Bushaltestelle. Etwa 18 Kilometer sind dies gewesen.

[1] Meyers Reisebücher: Der Harz. Grosse Ausgabe. 18. Aufl. Leipzig, Wien: Bibliographisches Institut, 1905, S. 179 f.

Wandern

Wandern – ein Vergnügen ohne Altersbeschränkung

Gedanken, Hinweise und Tipps zum Wandern in Ostfalen und überall

Wolfenbüttel. (re) Das Wandern erfährt bei immer mehr Menschen eine zunehmende Beliebtheit. Ein gern benutztes Klischee sieht im Wanderer allerdings immer noch einen etwas in die Jahre gekommenen Herren mit Kniebundhose und Baumwollrucksack. Abgesehen davon, dass eine Kniebundhose beim Wandern durchaus Vorteile haben kann, hat dieses Vorurteil (wie die meisten Vorurteile) wohl noch nie so richtig gestimmt. Auf jeden Fall können heute mehrere Gegebenheiten festgestellt werden: Es machen sich immer mehr Menschen jeden Alters an den Wochenenden oder im Urlaub auf den Weg – in den Wald, in die Heide oder in die Berge. Bekleidet sind diese Menschen immer häufiger mit moderner Funktionsbekleidung. Und auch die Rucksäcke sind mittlerweile technisch ausgefeilte Produkte mit Atmungsaktivität und Tragegestell auch bei den kleinen Ausführungen.

Doch, um zu Wandern ist nicht unbedingt alles zwingend notwendig. Was die Kleidung betrifft, so können grob gesagt drei Grundregeln aufgestellt werden:

  1. Für eine von Anfang bis Ende erträgliche Wanderung sind richtige und passende Wanderschuhe und gute Wandersocken notwendig! Die Schuhe müssen für den Untergrund der gewählten Wanderwege geeignet sein!
  2. Für die Gesundheit und das Wohlbefinden ist zudem eine dem Wetter angepasste Bekleidung wichtig!
  3. Für den richtigen Komfort ist moderne aus mehreren Schichten bestehende Funktionsbekleidung hilfreich!

Die natürliche Art der Fortbewegung

Der große Vorteil, den das Wandern gegenüber den meisten anderen sportlichen Betätigungen hat, ist seine Ungebundenheit und Flexibilität. Das ist nicht zuletzt auch deshalb der Fall, weil die Basis des Wanderns die natürliche Art der Fortbewegung des Menschen ist, das Laufen. Wandern ist in fast jeder Landschaft möglich. Ein paar gute Schuhe und geeignete Wege sind gegebenenfalls alles, was zunächst notwendig ist. Es wird kein teures Sportgerät benötigt. Keine komplizierte Technik muss f[r diesen Sport erlernt werden. Und es werden auch keine Partner benötigt. Zudem ist das alter egal – ob 8 oder 80, solange die Beine noch mitspielen, ist das Wandern in jedem Alter möglich. Somit ist es die einfachste Art, seinen Körper fit und beweglich zu halten und seine körperliche (physische) Gesundheit zu pflegen. Dabei kann mit einer entsprechend anspruchsvollen Tour und schwerem Gepäck durchaus auch sportlicher Ehrgeiz befriedigt werden. In rauer Landschaft oder bei rauem Wetter kommt dann sogar noch ein Hauch von Abenteuer hinzu.

Kombinationsmöglichkeit

Ein weiterer Vorteil des Wanderns ist seine Kombinationsmöglichkeit. Ob in flacher Küstenlandschaft, im bewaldeten Mittelgebirge oder im kargen Hochgebirge, Wandern ist fast überall möglich. Es kann einzeln und in unterschiedlich großen Gruppen durchgeführt werden. Interessante Landschaften und Orte können erkundet werden. Eine Wanderung kann als Bestandteil die Besichtigung einer Sehenswürdigkeit haben. Auch modernen Freizeitbeschäftigungen wie dem Geocaching kann beim Wandern nachgegangen werden. Weiter können Wanderungen mit Natur- und Gruppenerfahrungen pädagogischen Zielen dienen. Wie auch die Fortbildung in Naturkunde und Geschichte Teil einer Wanderung sein kann. Und das ist sicher noch nicht alles …

Vom Alltag abgeschaltet

Darüber hinaus birgt das Wandern auch für die seelische (psychische) Gesundheit des Menschen Vorteile. In der Stille der Natur kann vom hektischen Alltag und seinen Problemen abgeschaltet werden. Allein finden Wanderin oder Wanderer fern des städtischen Lärms ruhige Orte für die Selbstreflexion. Manch klärendes Gespräch kann mit zwitschernden Vögeln im Hintergrund besser geführt werden als mit lärmenden Autos. Und auch zu neuen, sinnvollen Ideen sollen entspannte Wandertage schon geführt haben.

Nachhaltig

Alles in allem kann Wandern also als besonders vielseitig und auch als nachhaltig bezeichnet werden – auch im ökologischen Sinn. Wandern für sich ist zunächst eine ökologisch vergleichsweise verträgliche Betätigung. Wie verträglich es ist, hängt dann von der Wahl der Wanderregion und des Verkehrsmittels ab sowie dem persönlichen Verhalten in der freien Natur. Damit die nächste Wanderung in schöner Erinnerung bleibt, folgen nun noch ein paar

Hinweise und Tipps:

Wandern mit Kindern

Wenn Kinder mit auf die Wanderung sollen, kann dies für alle sehr schön aber auch sehr anstrengend werden. Denn Kinder gehen mit anderen Erwartungen in die Welt hinaus als ihre Eltern. Außerdem haben sie schneller die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Deshalb sind bei Wanderungen mit Kindern ein paar spezielle Punkte zu beachten:

  • Kinder brauchen Abwechslung. Für die Wanderung sollte also eine abwechslungsreiche Landschaft gewählt werden, in der immer wieder neues zu entdecken ist. Bachläufe, Felsen, viele Blumen, eine Höhle und vielleicht auch ein Spielplatz irgendwo unterwegs können ungemein motivieren und für Kurzweil sorgen. Ein Spiel oder eine Geschichte zur durchwanderten Landschaft, Kind-gerecht erzählt, halten die lieben Kleinen auch bei Laune.
  • Kinder laufen in etwa dreimal so viel wie Erwachsene. Sie laufen ständig hin und her und nicht nur geradeaus. Deshalb sollten anfangs nur kurze Runden und immer ans Lebensalter angepasste Strecken gewandert werden. Als Faustregel für die Länge in Kilometern einer Wanderung gilt: Lebensalter des Kindes mal 1,5.
  • Ab etwa sechs Jahren können die Kinder bereits einen kleinen Rucksack mit z. B. einer Wasserflasche und etwas Essbarem tragen. Dann sind sie stolz, dass sie auch schon einen Rucksack tragen.
  • Kinder brauchen unbedingt gute Schuhe und der Witterung angepasste Kleidung!
  • Je schöner die Erinnerung an die ersten Wanderungen ist, desto lieber kommen sie auch beim nächsten Mal wieder mit.

Weitere Ratschläge finden sich zum Beispiel in folgendem Buch:

Chris Bergmann: Wandern mit Kindern: Harz. München: Bruckmann Verlag, 2005, ISBN 3-7654-4190-2, € 8,90.

Vorbereitung

  • Aktuelle Informationen über das Wanderziel einholen – zu interessanten Punkten und zu möglichen Problemen.
  • Länge und Schwierigkeitsgrad der Tour feststellen – die Beschaffenheit des Weges und die zu überwindenden Höhenmeter müssen sich an der körperlichen Leistungsfähigkeit der schwächsten TeilnehmerInnen orientieren.
  • Aktuelle topographische Wanderkarte besorgen und mitführen.
  • Bei einem geplante Gaststättenbesuch, zuvor nach den Öffnungszeiten erkundigen.
  • Unmittelbar vor der Wanderung den aktuellen Wetterbericht ansehen und berücksichtigen.

Schuhwerk und Bekleidung

Wanderungen finden zu Fuß statt. Also sind die Schuhe und Socken der wichtigste Teil der Bekleidung. Aber auch der Wetterschutz der übrigen Bekleidung darf nicht vernachlässigt werden. Besonders bei Kindern ist auf all dies zu achten. Wenn die Füße von Filia oder Filius schmerzen, wird die Wanderung für alle bald unerträglich. Und gute Wanderbekleidung steigert auch den Komfort.

  • Geschlossene feste Schuhe müssen es immer sein; Knöchelhohe Wanderstiefel vermeiden ein Umknicken und geben in unwegsamem Gelände besseren Halt – am besten in einem auf Outdoor-Sportarten spezialisierten Geschäft beraten lassen und dort auch kaufen.
  • Je felsiger und unwegsamer der Weg ist, desto stabiler müssen der Schuh und die Sohle sein.
  • Für einen optimalen Sitz der Schuhe sind spezielle Wandersocken hilfreich. Damit kann schmerzenden Füssen und Blasen vorgebeugt werden.
  • Eine erfahrungsgemäß zusätzlich gute Hilfe gegen Blasen an den Füssen stellt zudem das Einreiben mit Hirschtalg-Creme dar.
  • Der Rest der Bekleidung muss sich am (zu erwartenden) Wetter (Hitze, Kälte, Sonne, Regen, Schnee) orientieren.
  • Ggf. Regenschutzkleidung und ein Regenschirm einpacken.
  • Ggf. Fleece-Jacke oder -Pullover sowie Mütze und Handschuhe einpacken.
  • Ggf. Sonnenhut und ein Schweißtuch einpacken.
  • Grundsätzlich gute Erfahrungen gibt es mit den durchgehenden atmungsaktiven und schnell trocknenden Kleidungskonzepten moderner Funktionskleidung (von der Unterwäsche bis zur Jacke).
  • Die Auswahl der Kleidung muss immer am möglichen Wetter, nicht nur an dem gerade sichtbaren allein, orientiert werden.

Weitere Ausrüstung

  • Eine Wanderkarte der Region.
  • Ein gut sitzender Rucksack für Ausrüstung, Verpflegung und zusätzliche Bekleidung.
  • Bei längeren Touren und in jedem Fall bei Hitze immer genügend Flüssigkeit (vorzugsweise Wasser) in leichten Flaschen.
  • Ein Erste-Hilfe-Paket und ein Mehrzweckmesser.
  • Mindestens ein Mobiltelefon pro Gruppe (kann durchaus ausgeschaltet bleiben ;-)).
  • Ggf. Nahrungsmittel wie Schokolade und Obst.

Weitere Hinweise

  • Abfälle werden grundsätzlich wieder mitgenommen und zu Hause getrennt entsorgt.
  • Im Wald ist übermäßiger Lärm zu vermeiden.
  • Örtliche Vorschriften (z. B. im Nationalpark) sind zu befolgen.
  • Informationen hinterlassen, wo gewandert wird.
  • Die Wetterentwicklung beobachten. Bei Gewitter zügig Schutz aufsuchen.
  • Das Tempo wird immer an das langsamste Gruppenmitglied angepasst.
  • Die Notrufnummer im Mobilfunknetz ist in Deutschland immer 112. Für die schnelle Anfahrt von Rettungsdiensten ist eine genaue Ortsbeschreibung notwendig. GPS-Koordinaten sind ggf. ideal.

Wichtige Informationen und Hilfen finden sich bei verschiedenen Organisationen. Wanderwege, deren Kennzeichnung und Beschilderung und auch Ruhemöglichkeiten wie Bänke und Schutzhütten werden häufig von (regionalen) Wandervereinen eingerichtet und betreut. Meist findet dies in Zusammenarbeit mit den zuständigen Forstverwaltungen statt. Einige (regionale) Internetadressen sind nachfolgend aufgelistet:

Verwaltungen der Wälder in öffentlichem Eigentum (Staatsforst)

Berichte über Wanderziele

Der Ostfalen-Spiegel veröffentlicht in loser Folge Berichte über Wanderziele und Wandertouren. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Region Ostfalen. In den Berichten wird neben dem Verlauf auch immer über interessante Punkte am Wegesrand sowie wichtige Basisinformationen informiert. Zu finden sind die Berichte in der Kategorie „Freizeit und Sport/Wanderberichte“.

Bisher veröffentlicht wurden:

Hubertusfeiern im Hainberg (Januar 2010)

Kalter Krieg auf dem Stöberhai (August 2010)

Ein Hauch von Abenteuer auf dem Acker (August 2010)

Mit Radau auf den Brocken (Februar 2011)

Viel Spaß bei der nächsten Wanderung!

Widerstand gegen eine Energie ohne Zukunft

Widerstand gegen eine Energie ohne Zukunft

Der „Energiepolitische Appell“ deutscher Spitzenmanager bewirkt möglicherweise das Gegenteil von dem, was bezweckt war. Der Widerstand gegen das Vorhaben, die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke zu verlängern, wächst – bei mündigen Bürgern wie auch in den Reihen der Regierungskoalition.

Salzgitter/Berlin, 22.08.2010. (re) Wirtschaftsmacht gegen Volkswillen, so könnte die derzeitige Debatte über die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke (AKWs) überschrieben werden. Vor zehn Jahren haben die deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) – vornehmlich die vier großen Konzerne – eine Vereinbarung mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung unterschrieben, in welchem der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie festgeschrieben und in Folge dessen 2002 ins Atomgesetz übernommen wurde. Mit den geänderten Mehrheitsverhältnissen in Berlin kam umgehend der Wunsch auf, aus dieser gesetzlichen Regelung wieder auszusteigen. Der vorläufige Höhepunkt ist nun der „Energiepolitische Appell“ führender deutscher Manager aber auch anderer bekannter Personen. In diesem Appell wird für die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen AKWs geworben. Unterzeichner sind neben Managern aus den vier großen deutschen Stromkonzernen zum Beispiel auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Josef Ackermann, der Manager der Deutschen Fußballnationalmannschaft Oliver Bierhoff und der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Clement sowie der Aufsichtsratsvorsitzende der Salzgitter AG Rainer Thieme.

Auf der anderen Seite formiert sich ein immer stärker werdender Widerstand gegen den weiteren Betrieb von Atomkraftwerken. Wie bereits berichtet, ist für den 18. September eine Großdemonstration gegen die weitere Nutzung der Atomenergie geplant. Damit soll einmal mehr der Mehrheitswillen des deutschen Volkes vor dem Reichstag zum Ausdruck gebracht werden. Und auch im Regierungslager wächst der Widerstand. Wie Spiegel-Online und Die Zeit berichten, wird der Appell aus der Wirtschaft von Mitgliedern der Regierungskoalition mit sachlich unterschiedlichen Schwerpunkten zum Teil scharf verurteilt.

Gegen-Kampagne „Energie ohne Zukunft“

Der Ärger über diese kapitalkräftige Kampagne der Industrie bringt auch bisher nicht engagierte Bürgerinnen und Bürger zum Handeln. Wie der Pressedienst der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad mitteilt, wurde an diesem Wochenende die Gegen-Kampagne „Energie ohne Zukunft“ ins Leben gerufen. Niklas Sum und Philipp Schächtle, die keiner Partei oder Umweltorganisation angehören, haben diese Online-Kampagne binnen kürzester Zeit ins Leben gerufen. Der studierte Betriebswirt Niklas Sum (24), der in einem sozialen Internet-Start-Up in Berlin arbeitet, zeigt sich überzeugt, dass seine Website mehr Unterstützer findet als die von der Agentur „Jung von Matt“ geplante Kampagne: „Die Argumente sprechen gegen Atom- und Kernenergie. Die Menschen sind nicht bereit der Lobbyarbeit der Atomindustrie weiter Glauben zu schenken.“

Leichterer Zugang zur Atombombe

Die Nutzung der Atomenergie war von Anbeginn mit Gefahren und zweifelhaften Begehrlichkeiten verbunden. Sowohl Marie Curie als auch ihre ebenfalls mit radioaktivem Material forschende Tochter Irène Joliot-Curie sind vermutlich an den Folgen des Umgangs mit radioaktiven Elementen gestorben. Forscher im Manhatten-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe haben sich verstrahlt und sind bald danach daran verstorben. Hunderttausende Tote haben 1945 die Atombombenabwürfe auf Japan gefordert. Und an den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl 1986 sind unzählige Menschen gestorben. Trotz solcher Erfahrungen wird von Politik und Wirtschaft in vielen Ländern unverändert an dieser Technik festgehalten. Ein wichtiger Grund, Atomkraftwerke zu betreiben, scheint denn auch immer der leichtere Zugang zur Atombombe zu sein. Wegen des politischen Interesses waren Regierungen auch immer wieder an der Einführung dieser Technik beteiligt. In Frankreich ist der Energieversorger EDF staatlich (wenn auch seit 2004 als Aktiengesellschaft), in Deutschland wurde der Bau von Atomkraftwerken in den 1970er Jahren mit Forschungsgeldern subventioniert und warum der Iran so vehement an dem Bau seines ersten Atomkraftwerkes festgehalten hat, bleibt auch zu fragen. Für die großen deutschen Energieversorger ist diese Technik zusammen mit den steuerfreien Entsorgungsrückstellungen mittlerweile eine Art „Lizenz zum Gelddrucken“.

Keineswegs taugliche „Brückentechnologie“

Auch die als besonders sicher dargestellten deutschen Atomkraftwerke bergen das „Restrisiko“ eines Unglücks (GAU) mit massiver Freisetzung radioaktiver Strahlung. Dieses Risiko steigt mit jedem Betriebsjahr, in dem die Strahlung und andere Alterungsprozesse die Anlagen verschleißen lassen. Der Betrieb der Atomkraftwerke, die möglichst ohne Lastwechsel gefahren werden müssen, steht zudem einer verantwortungsbewussten, zukunftsorientierten Energiewende im Weg und ist keineswegs eine dafür taugliche „Brückentechnologie“. Und die Belastung für Mensch und Umwelt beginnt bereits beim Uranbergbau. Ungeachtet dessen ist die Frage der sicheren Entsorgung der über Jahrtausende strahlenden Abfälle ohnehin unverändert ungeklärt und kann wahrscheinlich auch niemals abschließend geklärt werden. Alles Gründe, die verantwortungsbewusst denkende und handelnde Menschen den Ausstieg aus dieser Technik fordern lässt.

Literaturauswahl zu den verschiedenen Aspekten der Atomenergienutzung:

Fischer, Bernhard; Lothar Hahn, Christian Küppers u. a.:

Der Atommüll-Report: „Entsorgung“, Wiederaufarbeitung, Lagerung: Das offene Ende der Atomwirtschaft. Eine Publikation des Öko-Instituts. München: Knaur, 1991.

Jungk, Robert:

Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit. Mit einem Vorwort von Mathias Grefrath. München: Heyne, 1991.

May, John:

Das Greenpeace-Handbuch des Atomzeitalters: Daten – Fakten – Katastrophen. A. d. Engl. V. Helmut Dierlamm u. Reiner Pfleiderer. Redaktionelle Betreuuung Wolfram Ströle. München: Knaur, 1989.

Paul, Reimar:

Das Wismut Erbe. Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 1991.

Braunschweig zur Zeit der Wintermesse 1754

Buchvorstellung

Isa Schikorsky

Abt Jerusalem und die Hohe Schule des Todes

Braunschweigkrimi

Leer: Leda-Verlag, 2009.

Taschenbuch, 236.

ISBN: 978-3-939689-29-4

[Die Quellenangabe bezieht sich auf die der Rezension zugrunde liegende Ausgabe]

Rezension und Hintergrund:

In einer spannenden, kurzweiligen Geschichte wird erzählt, wie der frisch verliebte junge Student Friedrich Bosse versucht, mysteriöse Todesfälle am Collegium Carolinum in Braunschweig aufzuklären. Neben der eigentlichen fiktiven Geschichte erfahren Leserin und Leser ein wenig das Leben in der Residenzstadt Braunschweig in der Mitte des 18ten Jahrhunderts kennen. Lebensumstände werden beschrieben und auch soziale Unterschiede. Durch die Haupthandlung wird zudem die junge „Hohe Schule“ vorgestellt, aus der später die heutige Technische Universität Braunschweig hervorgehen sollte.

Sicher kein Mankell, aber ein kleiner Krimi, vor gut recherchiertem Hintergrund und mit allem, was dazu gehört, der einen nicht wieder loslässt.

Umschlagtext:

Braunschweig zur Zeit der Wintermesse 1754: Am Collegium Carolinum, der Hohen Schule des Herzogtums, spukt es. Für den Direktor, Abt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, eine peinliche Angelegenheit, hat sich doch die Institution dem Prinzip des vernünftigen Denkens und Handelns verschrieben. Noch misslicher ist die Lage, weil zugleich der Hauswärter tot aufgefunden wird. Hat das Gespenst ihn ermordet?

Jerusalem versucht, den Fall zu vertuschen – vergeblich. Das Carolinum wird zum Gespött des gelehrten Deutschlands.

Als das Gespenst erneut auftaucht, direkt neben einer Leiche, stellt der Student Fritz Bosse Nachforschungen an und macht eine schockierende Entdeckung …

Kalter Krieg auf dem Stöberhai

Kalter Krieg auf dem Stöberhai

Ausflugsziele in Ostfalen – Natur, Geschichte, Gegenwart

Die Beschreibung einer mehrstündigen Wanderung folgt deutschen Kaisern und Königen, führt vorbei an Spuren aus dem Mittelalter und entdeckt eine versunkene Welt aus dem Kalten Krieg. Auch ein wenig Eisenbahngeschichte findet Erwähnung und eine kulinarische Empfehlung rundet den Bericht ab.

Anfahrt: mit dem Pkw oder mit dem Bus, Fahrplanauskünfte:

Ausgangspunkt: Harz, Niedersachsen, Parkplatz und Bushaltestelle „Lausebuche“ an der Bundesstraße 27 zwischen Braunlage und Bad Lauterberg

Länge der Tour: ca. 18 km

Höhen: zw. 460 m u. 720 m ü.NN, zu Überwinden sind ca. 530 Höhenmeter auf u. ab

Beschaffenheit der Wege: Forststraßen, kurze Abschnitte auf Waldpfaden

Rastmöglichkeiten: Bänke, Schutzhütten, eine Waldgaststätte

Kennzeichnung der Wege: Wie im Harz allgemein üblich sind die Wege meist gut beschildert und ausgezeichnet. Dies erfolgt in der Regel durch Zweigvereine des Harzklubs.

Grundsätzliche Ratschläge: finden sich bei Gedanken, Hinweise und Tipps zum Wandern

Braunlage. (re) Ausgangspunkt ist der Parkplatz „Lausebuche“ an der Südostseite der B27 zwischen Braunlage und Bad Lauterberg (Bild 1). Hier befindet sich auch die gleichnamige Bushaltestelle. Und hier kreuzt der „Kaiserweg Bad Harzburg – Tilleda“ die Straße. Die Wanderung startet in östlicher Richtung auf dem Kaiserweg. Der Kaiserweg führt etwa im rechten Winkel von der Bundesstraße weg. Ein Hinweisschild für die Hasselkopf-Loipe weist auch auf diesen Weg.

Der Kaiserweg ist ein etwa 110 Kilometer langer Fernwanderweg. Er folgt einer alten Harzquerung, die seit dem frühen Mittelalter benutzt wurde. Der Harz war im Mittelalter von Pfalzen der Deutschen Könige (die in der Regel auch zum Römischen Kaiser gekrönt wurden) umgeben. Das Gebirge selbst war Reichswald und Jagdgebiet der Kaiser und Könige. Deshalb wurde diese Harzquerung auch von diesen Herrschern immer wieder benutzt. Der Name des heutigen Kaiserweges gründet in der Flucht Kaiser Heinrich IV. über diesen Weg. Im Jahr 1073 floh der Deutsche König (Kaiser war er erst ab 1084) vor den Sachsen von der Harzburg aus über den Harz nach Walkenried und weiter nach Eschwege. Der eigentliche Kaiserweg führt von Bad Harzburg nach Tilleda am Kyffhäuser. Eine verlängerte Version startet bereits an der Kaiserpfalz in Goslar.

Durch einen hauptsächlich mit Fichten besetzten Wald (Bild 2) führt die Forststraße in einigen Windungen und über einen Bach (Großer Kronenbach) und leichte Steigungen als nächsten markantem Punkt zum Kapellenfleck.

Kapelle aus dem 13. Jahrhundert

Der Kapellenfleck hat seinen Namen von den Grundmauern einer wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert stammenden Kapelle, die hier gestanden hat. Heute sind auf den ersten Blick nur eine Freifläche zu sehen und eine Hinweistafel, die über den Ort aufklärt. Außerdem gibt es ein paar Bänke und eine Stempelstelle der Harzer Wandernadel. Neben dem Grundriss der Kapelle gibt es auch die Reste einer Wallanlage. Die Indizien sprechen dafür, dass Wallanlage und Kapelle zusammen gehören. Vermutlich gab es an diesem Ort im Mittelalter eine Schutzunterkunft für Reisende und möglicherweise auch eine Station zum Wechseln der Zugtiere. Der Weg war mit einem ganzen Wegesystem verbunden, welches unter anderem dem Transport von Bergbau-Gütern diente.

Weiter führt die Route über eine große Wegekreuzung nahe der Schutzhütte „Schweinepfahl“. Im Winter kreuzen sich hier mehrere Langlaufloipen. Ein Stück noch geht es weiter auf dem Kaiserweg. Nach einer Steigung dann lichtet sich der Wald und der Kaiserweg verlässt die Forststraße links (südöstlich) in Richtung der Straße nach Wieda. Über den Glasekopf, Kleiner Espentalskopf und Großer Espentalskopf führt die Tour in einem nordwestlichen Bogen hinauf auf den Stöberhai. Der Weg trägt größtenteils ein gelbes Dreieck als Kennzeichen. Meist führt diese Route an Kreuzungen mehr oder weniger geradeaus weiter. Erst am Fuß des Stöberhais verlässt die Tour eine Forststraße rechts hinauf auf einem ungeschotterten Waldweg. Es führen gegebenenfalls aber mehrere Wege auf den Stöberhai. Bei Hinweisschildern ist darauf zu achten, dass der Stöberhai nicht mit der Waldgaststätte Stöberhai verwechselt wird. Die Waldgaststätte liegt in einem Tal und diese Tour führt dort erst nach dem Erreichen des Stöberhais vorbei.

Überbleibsel aus dem Kalten Krieg

Der Stöberhai besteht quasi aus zwei Gipfelplateaus. Der hier beschriebene Weg führt zunächst auf den „Nebengipfel“, auf welchem heute ein Antennenmast für Mobilfunkanlagen steht. Bis vor wenigen Jahren standen unweit der Antenne noch die mächtigen Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Ein Stück weiter öffnet sich zur Linken (östlich) eine große Freifläche. Der Weg führt im Bogen zu einem Betonhäuschen auf dieser Freifläche (Bild 3). Am anderen Ende der Freifläche ist eine Betonmauer zu sehen. Die Betonmauer besteht aus drei in circa 45° ineinander übergehende Mauern. In der Innenseite befinden sich Hinweis- und Gedenktafeln an die militärische Anlage, die hier von 1959 bis 1992 betrieben wurde und die 2005 abgerissen wurde. Auch ein Foto ist zu sehen, welches zusammen mit der noch weitgehend baumlosen Freifläche einen Eindruck von der Dimension der Anlage vermittelt. Der Turm dieser Elektronischen-Aufklärungs-Anlage war über viele Jahrzehnte weithin sichtbar. Betrieben wurde diese NATO-Einrichtung von einer Luftwaffeneinheit der Bundeswehr und vom französischen Militär.

Zurück zum Betonhäuschen sind es nur wenige Meter zu einer Wegekreuzung. Nach links (Osten) weg geht es leicht bergan auf den eigentlichen Gipfel des Stöberhais. Ein Wegekreuz mit dem Hinweis auf die Höhe (720 m über NN) ist deutlich zu sehen. Links davon steht eine Schutzhütte mit einer Stempelstelle der Harzer Wandernadel. Auf der Rückseite sind einige Bänke aufgestellt, von denen aus eine gute Sicht herrscht. Sankt Andreasberg, dahinter das Acker-Bruchberg-Massiv, der Rehberg und das Brocken-Massiv flankiert vom Achtermann und Wurmberg (Bild 4) sowie Teile Braunlages sind zu sehen. Gutes Wetter vorausgesetzt ist dies ein schöner Ort zum Verweilen. Bis zu einem Brand im Jahr 1980 stand hier ein Hotel mit Aussichtsturm. Der Hotelbetrieb wurde bereits 1975 eingestellt.

Historischer Bahnhof Stöberhai

Weiter geht es dann wieder bergab zum Historischen Bahnhof Stöberhai. Wer gut zu Fuß ist, kann den Weg auf einem steilen Waldpfad abkürzen. Wenig länger ist sonst der Weg über die Forststraße. Nach etwa zwei Kilometern führt der Weg in eine Talsenke. Halbrechts fällt der Blick auf das etwas bergan stehende historische Gebäude des Bahnhofs Stöberhai (Bild 5). Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch im Westharz mehrere Schmalspurbahnen. Bis 1962 fuhr hier ein Zug nach Braunlage. Ihren Betrieb nahm die die Eisenbahn 1899 auf. Die Schienen sind schon lange abgebaut und nur bei genauem Hinsehen wird die alte Bahntrasse noch sichtbar. Der Bahnhof beherbergt heute eine kleine aber feine Waldgaststätte. Nach einer Renovierung wird die Gaststätte seit 2005 von neuen Pächtern betrieben. Die kalte und warme Küche findet ihre Zutaten in der Region. Eine geräucherte Forelle zählt zu den Gaumenfreuden, das Fleisch kommt vom Harzer Höhenvieh oder aus Harzer Wildbeständen. Seit 2010 führt hier auch der Harzer Baudensteig vorbei. Wanderin und Wanderer freuen sich in der Regel immer, wenn sie abseits der Zivilisationshektik einen freundlichen Ort für ihre Rast finden. Das ist hier der Fall. Trotz der exponierten Lage sind die Preise moderat. Und vor allem für ältere Waldliebhaber, die keine kilometerlangen Wanderungen mehr unternehmen können, ist dieser entlegene Ort dennoch erreichbar, denn er darf mit dem Auto angefahren werden.

Nach der stärkenden Rast geht es über den Parkplatz wieder neben einem Bach parallel zur alten Bahntrasse bergan. An einer Biegung wird eine Jagdhütte rechts des Weges passiert. An der nächsten größeren Wegegabelung geht es nach rechts (Osten) weiter. Bevor die Forststraße wieder bergab führt, zweigt links fast im rechten Winkel ein Forstweg (Rolando-Weg) ab zur Forststraße des Hinweges. In vielleicht gut einhundert Metern Entfernung ist dessen entsprechende Wegabzweigung zu sehen. An dieser Abzweigung geht es nach rechts in Richtung Kaiserweg und zur großen Wegekreuzung nahe des Schweinepfahls. Damit der Rückweg abwechslungsreich bleibt, geht es ab der Kreuzung nahe des Schweinpfahls nicht auf dem alten Weg (Kaiserweg) weiter, sondern links ab (nordwestlich) auf die Waldstraße. Diese trifft nach etwa tausend Metern auf einen von der Odertalsperre kommenden Wanderweg und führt mit diesem dann im Bogen zurück zum Parkplatz beziehungsweise der Bushaltestelle „Lausebuche“. Etwa 18 Kilometer haben die Stiefel nun zusätzlich auf ihren Sohlen.

Wanderungen in die Erdgeschichte (19) – Braunschweiger Land

Buchvorstellung

Fritz J. Krüger

Unter Mitarb. von Monika Bernatzky u. a.

Wanderungen in die Erdgeschichte (19). Braunschweiger Land.

Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig und Freilicht- und Erlebnismuseum Ostfalen (FEMO) (Hrsg.).

31 Lagepläne ; 1 stratigrafische Übersichtstabelle ; 1 Übersichtskarte ca. 1:330000

München: Verlag Dr. Friedrich Pfeil, 2006 .

Kartoniert, 192 S., zahlr. Ill., graph. Darst..

ISBN 978-3-89937-066-9 / 3-89937-066-X

[Die Quellenangabe bezieht sich auf die der Rezension zugrunde liegende Ausgabe]

Beginn des Vorwortes:

„Dieser Wanderführer in die Erdgeschichte des Braunschweiger Landes ist für Naturfreunde, Fossiliensammler und heimatkundlich Interessierte gedacht. Während meiner Museumsarbeit, bei Fundberatungen und Seminaren, werde ich häufig von Sammlern und besonders von Eltern mit wissensdurstigen Kindern gefragt, wo sie gefahrlos nach Fossilien suchen können. Gibt es geologische Wanderpfade mit Aufschlüssen in dem erdgeschichtlich so interessanten Braunschweiger Raum?

Es gibt sie und sie werden auch nicht geheim gehalten. Nur ist es nicht immer leicht, an die entsprechenden Informationen zu kommen. Ältere Literatur ist häufig vergriffen. Verstreut finden sich hier und da Informationen und Wanderführer. Neuerdings die vom FEMO (Freilicht- und Erlebnismuseum Ostfalen) herausgegebenen Schriften zu den von ihm angelegten und betreuten Erlebnispfaden.

…“

(re) Wer im Braunschweiger Land Natur und Landschaft erkunden will, findet in diesem Buch einen guten und lehrreichen Ratgeber. 32 Exkursionspunkte vom Hainberg über die Asse bis hin zum Elm werden vorgestellt, geeignet für Ausflüge und Wanderungen. Geologie und Erdgeschichte bilden einen Schwerpunkt, aber auch historische Informationen finden Eingang in das Buch. Leserin und Leser erfahren, dass zahlreiche historische Gebäude in Braunschweig und anderen Städten der Region aus Elmkalk gebaut wurden. Die Asse-Burg wird vorgestellt, die Lübbensteine und die Schöninger Speere. Und auch der Salzstock im Höhenzug Asse wird sehr ausführlich behandelt. Dies ist dann aber leider auch der „Schönheitsfehler“ dieses informativen Buches. Obwohl nicht unumstritten wird Steinsalz als idealer Aufbewahrungsort für radioaktive Abfälle beschrieben. Und völlig unkritisch wird die seinerzeit noch offizielle Lesart das Atommüll-Endlager Asse II betreffend verkündet. Was in kritischen Kreisen bereits seit Jahren bekannt war,  wird mit keinem Wort erwähnt. Weder, dass das Endlager mitnichten nur als Forschungsendlager betrieben wurde, noch, dass es durch Wasserzuflüsse stark einsturzgefährdet war und ist. Nun kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Fakten in den politisch weniger brisanten Bereichen hinreichend recherchiert wurden. Aber für ein von Wissenschaftlern verfasstes Werk, zeigt es bei der Beschreibung des Endlagers Asse II deutliche Schwächen! – Ungeachtet dessen kann das Buch ein hilfreicher Führer durch die Region sein.