Februar 21

Denkanstöße zu einem Windpark

Ein Windpark sorgt für aufgeheizte Diskussionen

Denkanstöße und ein Aufruf zur gemeinsamen Suche nach tragfähigen Lösungen

Ein Kommentar – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Seit im Winter bekanntgegeben wurde, dass der Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) an einer Ausweisung von Windkraft-Potentialflächen arbeitet, erhitzen sich mancherorts die Gemüter. Einer der ins Auge gefassten Standorte liegt zwischen dem Wolfenbütteler Ortsteil Ahlum und der Gemeinde Dettum (Samtgemeinde Sickte) im Landkreis Wolfenbüttel. Vor allem in der Gemeinde Dettum aber auch anderswo hat sich Aufregung ob des möglichen Windparks vor der Haustür breit gemacht. Vehement wird gegen den Windpark auf Veranstaltungen, auf einer Internetseite und in Leserbriefen gewettert, wodurch die Berichterstattung nach meinem Eindruck auch von den Gegnern dominiert wird. Die durchaus weitgreifende Bedeutung des Themas hat mich deshalb zu ein paar Hinweisen, Denkanstößen und einem Appell zur vernünftigen Lösungssuche veranlasst.

„Vernunft ist Bewegung ohne gesicherten Bestand. Sie drängt zur Kritik jeder gewonnenen Position, steht daher im Gegensatz zu der Neigung, sich durch endgültige feste Gedanken vom weiteren Denken zu befreien.“

Karl Jaspers[1]

Wir haben mehr als ein Problem!

Wir haben mehr als ein Problem! Windparks sind gegebenenfalls nur eines davon – und zugleich Teil der Lösung. Die anderen, in letzter Konsequenz kollektiv existenziellen (!), Probleme sind nicht erst seit Durban oder Fukushima bekannt! Die Menschheit marschiert allem Anschein nach sehendem Auges auf einen Abgrund zu. Seit Jahrzehnten versuchen kritische Stimmen, die Gesellschaft insgesamt wie die Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft im Besonderen darauf aufmerksam zu machen. Nur ein paar Beispiele:

In den frühen 1970er Jahren haben MIT-Wissenschaftler den 1. Bericht an den Club of Rome[2] abgeliefert; seitdem sind die Tendenzen im Bereich des Rohstoffverbrauchs und der Klimaentwicklung bekannt. Seit Ende der 1980er Jahre brachte das UN-Wissenschaftsgremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) mehrfach umfassende Berichte zur drohenden Klimaerwärmung heraus.[3] Seit den späten 1970er Jahren (Harrisburg) sind auch die Gefahren der Atomkraft vorstellbar, seit 1986 (Tschernobyl) schreckliche Realität. Ebenfalls seit den späten 1970er Jahren ist die Gefahr im (ohne atomrechtliche Genehmigung betriebenen) Atommüllendlager Asse 2 bekannt[4]. Dennoch haben in all diesen Fragen jahrzehntelang (!) nur wenige konsequent gehandelt und versucht gegenzusteuern!

Verantwortung

Wir alle, also zunächst wir als Gesellschaft und dann – quasi runtergebrochen – wir als jeweils einzelner Mensch sind hier angesprochen. Denn wir tragen alle gemeinsam und dann eben jeder für sich die Verantwortung dafür, was wir tun (ob nun als einzelne persönliche Handlung oder als kollektive Handlung von Gruppen, denen wir angehören). Dafür müssen wir (letztlich als einzelne Person) uns bewusst machen, ob wir die Folgen dieser Handlungen verantworten können und wollen!

Dazu gehört dann zum Beispiel auch die Frage, ob es mir tatsächlich egal ist, was mit den Menschen im Uranbergbau geschieht oder in Bangladesch, wenn der Meeresspiegel steigt (die Liste solcher „Beispiele“ ist sehr lang!). Am Ende gehört dann selbstverständlich auch der Mensch dazu, der unter einem Windpark leidet. Um das alles gegeneinander abwägen zu können, muss ich ergründen, wie die einzelne Last tatsächlich aussieht. Gefahren für die Gesundheit von Menschen muss dann selbstverständlich immer entgegengewirkt werden! Ästhetische Empfindlichkeiten wie die Veränderung des Landschaftsbildes durch hohe Masten und große Rotoren müssen wir partiell vermutlich einige Zeit hinnehmen. Für mich ist das im Zweifel erträglicher als der Abriss ganzer Dörfer (Braunkohletagebau) oder eben strahlenverseuchte Arbeiter und Anwohner (Beispiel Wismut im Erzgebirge, wir brauchen da gar nicht in die Ferne schweifen, um die tragischen Folgen zu sehen).

Für all diese Folgen sind wir als Gesellschaft verantwortlich, die seit geraumer Zeit über ihre Verhältnisse lebt – derzeit, als hätten wir 1,5 Erden für unseren Ressourcenbedarf verfügbar[5] – und als einzelner Mensch, der dem zugehörigen Lebensstil folgt und jeden Meter vom hübschen Einfamilienhaus zum Bäcker mit dem SUV fährt.

Ausgleich der Lasten

Und weiter, gesamtgesellschaftliche Probleme lassen sich nicht immer „gerecht“ lösen! Dann muss aber ein Ausgleich der Lasten stattfinden, müssen besonders belastete Menschen in der Tat entschädigt werden. Das alles ist übrigens grundlegend in Artikel 14 Grundgesetz geregelt (Eigentum verpflichtet). Auch wenn das nicht alle einsehen, wer mehr hat, muss (in zumutbarem Rahmen) auch mehr geben, auch im Kleinen. Als Beispiel: Wenn ich in einer Mietwohnung lebe(n muss), kann ich nur bedingt Ansprüche stellen. Häufig muss ich damit leben, das Hauptverkehrsstraßen laut sind, LKWs vorbeidonnern, das Haus hellhörig ist und ich jedes Husten des Nachbarn höre, ich vom Balkon auf das Nachbarhaus schaue usw. Zwar wird auch hier zum Teil technisch entgegengewirkt, aber irgendetwas ist immer. Solche Probleme habe ich im (dörflichen) Eigenheim in der Regel weniger. Tatsächliche Lärmbelastungen durch Windkraftanlagen muss ich dann sicher dennoch nicht hinnehmen, den Anblick einiger Windräder auf dem Acker schon – meine ich.

Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Unsichtbar lassen sich die Anlagen also nicht errichten. Niemand will jedem ein Windrad in den Garten stellen. Aber wir alle müssen unseren Beitrag leisten für eine bewohnbare und lebenswertere Welt auch noch in der Zukunft. Und das geht nicht ohne – vertretbare – Beeinträchtigungen Einzelner. Die Gesellschaft insgesamt trägt dann gegebenenfalls die Verantwortung, diese Beeinträchtigungen erträglich zu gestalten.

jede technische Anlage hat Auswirkungen auf Mensch und Natur

Es geht – zumindest mir – jetzt aber nicht darum, die Betroffenen nicht ernst zu nehmen oder gar jeden Windpark um jeden Preis errichten zu lassen. Nur, jede technische Anlage hat Auswirkungen auf Mensch und Natur. Da wir in einer industrialisierten Wohlstandgesellschaft (!) leben, müssen wir versuchen, für jeden Einzelfall den denkbar besten Kompromiss zu finden. Das kann sicher auch das Unterbleiben einer Errichtung sein. Das einfache Rezept Offshore ja, Onshore nein funktioniert aber leider nicht.[6] Schon die hierfür notwendigen Stromtrassen bringen gleichfalls Belastungen für Menschen mit und stoßen deshalb ebenfalls auf Widerstand. – Und die kompromisslose Einnahme einer prinzipiellen Gegenhaltung hilft bei der Problemlösung gar nicht – zumal, wenn die eigentlich ursächliche Problematik ansonsten ignoriert wird.

Es geht, wie so oft, um die Fragen: Wie wollen wir leben? Welchen Preis sind wir bereit, dafür zu bezahlen? Und welchen Preis sind wir bereit andere – nicht zuletzt in anderen Ländern und auch in der Zukunft – dafür bezahlen zu lassen? Nach meiner Auffassung kommen wir um einen Umbau unserer Gesellschaft nicht herum. Konsum und Energieverbrauch um jeden Preis wird so oder so nicht mehr lange funktionieren. Aber auch für die Übergangszeit brauchen wir vertretbare Lösungen.

Sankt Florian

Bei den Gegnerinnen und Gegnern von Windparks finde ich aber leider kaum einen Hinweis auf die beschriebenen Probleme. Kaum jemand anerkennt die beschriebene Verantwortung von uns allen. Im Gegenteil, die drohende Klimaerwärmung wird teils sogar bestritten[7]. Die genannten Probleme finden sich allenfalls in Floskeln wieder. Immer wieder wird die ablehnende Haltung kollektiv kundgetan und anderen versucht „Sankt Florian“ zu unterstellen, um von der eigenen entsprechenden Haltung abzulenken. Doch, wer am lautesten „schreit“ und mit großen Gruppen die Säle dominiert, hat noch lange nicht Recht und repräsentiert damit auch nicht automatisch die Mehrheit. – Wobei echte Demokratie sich aber nicht in – im Zweifel rücksichtslosen – Mehrheitsentscheidungen offenbart, sondern eben im tragfähigen Kompromiss!

Es tut mir leid, aber es entsteht hier wirklich der Eindruck, dass von manchen Akteuren intensiv nach Argumenten gegen einen Windpark gesucht wird – gesucht, weil nicht wenige dieser Akteure (zugespitzt formuliert) eigentlich nur die Ästhetik stört. Hier muss sich jeder dann aber die Frage gefallen lassen, ob er oder sie denn lieber auf das Kohlekraftwerk Buschhaus sehen will oder auf das AKW Grohnde (gut 80 km von hier!)? Wo jeweils auf jeden Fall auch nicht nur die Ästhetik stört – vom Braunkohletagebau, Uranminen oder den Folgen der Klimaveränderung eben ganz zu schweigen.[8]

Aber, keine Frage, Ängste und Sorgen müssen ernst genommen werden!

Aber, keine Frage, die Ängste und Sorgen der potentiellen Anwohner müssen ernst genommen werden. Vernünftig kann das Thema nur diskutiert werden, wenn wirklich alle Interessen Berücksichtigung finden, alle Bedenken geprüft werden, alle Betroffenen Gehör finden. Dann müssen wir aber auch eine sachliche Diskussion unter Einbeziehung unserer gesellschaftlichen Verantwortung führen.

Da darf auch die Ästhetik als Grund genannt werden. Auch wenn es nach meiner Auffassung in diesem Fall nur ein nachgeordnetes Argument sein sollte. Die Bedenken zu gesundheitlichen Auswirkungen müssen auf jeden Fall ernst genommen werden. Denn sollte der geplante Windpark tatsächlich eine eindeutig erhöhte Belastung für die Gesundheit offenbaren, kann er so nicht gebaut werden. Ob und wie er gebaut werden kann, muss deshalb in einer von allen Beteiligten ergebnisoffenen, sachlich und vernünftig geführten Diskussion erarbeitet werden. [8]

eine gemeinsame sachliche und fachliche Arbeit mit am Ende tragfähigen Lösungsvorschlägen

Also liebe Menschen! Ich denke, wir haben keine Zeit mehr (zu verlieren). Es geht um die Welt unserer Kinder und Kindeskinder – nicht allein um unsere Befindlichkeiten! Das im Blick zu halten bei seiner Entscheidungsfindung ist vernünftig. Die Informationsarbeit des Zweckverbandes ist meines Erachtens schon sehr vorbildlich. Der Schritt, den Bürgermeister Pink für Wolfenbüttel gehen will, weist ebenfalls in die richtige Richtung. Ich meine aber, dass es möglicherweise nicht ausreicht, die Bürgerinnen und Bürger zu befragen. Es erscheint mir sinnvoll, die Bürger zuvor direkter an den Planungen zum Windpark zu beteiligen. Hierfür gibt es erfolgreich erprobte Methoden repräsentativer Art, in welchen eine gemeinsame sachliche und fachliche Arbeit in der Regel zu am Ende tragfähigen Lösungsvorschlägen führt – die dann auch Thema einer Bürgerbefragung sein können. In jedem Fall erscheint es mir sinnvoll, solche Methoden auszuprobieren, denn in ihnen steckt meines Erachtens noch weit mehr Potential.

Also, es gibt viel Arbeit, aber möglicherweise auch reichlich ungenutztes Lösungspotential. Worauf warten wir noch?

Wolfenbüttel, 21.02.2012

—–

Quelle:

[1] Jaspers, Karl: Vernunft und Widervernunft in unserer Zeit: Drei Vorlesungen. Neuausg. 3. Aufl. München: Piper, 1990 [(1) 1950], S. 33.

[2] Meadows, Dennis L. [u.a.]: Die Grenzen des Wachstums: Bericht an den Club of Rome zur Lage der Menschheit. A. d. Amerik. V. Hans-Dieter Heck. Stuttgart: DVA, 1972 (amerik. Orig.: The Limits to Growth. New York: Universe Books, 1972).

[3] Vgl. z. B. auch: Leggett, Jeremy (Hrsg.): Global Warming: Die Wärmekatastrophe und wie wir sie verhindern können: Der Greenpeace Report. München, Zürich: Piper, 1990

[4] Jürgens, Hans-Helge: Atommülldeponie Salzbergwerk ASSE II: Gefährdung der Biosphäre durch mangelnde Standsicherheit und das Ersaufen des Grubengebäudes. Braunschweig: Braunschweiger Arbeitskreis gegen Atomenergie, 1979.

[5] Veltzke, Britta: „Global Overshoot Day: Schulden bei Mutter Erde“ taz.de vom 29.09.2011 (http://www.taz.de/!78867/) online abgerufen am 17.02.2012.

[6] Vgl. Bund für Umwelt und Naturschutz e.V. (BUND) (Hrsg.): Für einen natur- und umweltverträglichen Ausbau der Windenergie. Positionen: 56. Broschüre/PDF-Datei. Berlin: BUND, 2011 (speziell zu Offshore S. 12 f.; http://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/energie/4.pdf, abgerufen am 02.02.2012.

[7] Vgl. z. B. Gegenwind Schleswig-Holstein e. V.: „Informationen zur Klimahysterie 2010“ http://www.gegenwind-sh.de/index.php?article_id=54 online abgerufen am 17.02.2012;

und auch Herrn Zielinski im Interview: Feddern, Jörg; Zielinski,Hans-Joachim; Keiffenhaim, Marcel: „Streitgespräch Offshore“ greenpeace magazin Nr. 3 (2005), online, http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=2992&no_cache=1&sword_list[]=windenergie online abgerufen am 10.02.2012.

[8] Ich bin Bürgermitglied im Ausschuss für Bau, Stadtentwicklung und Umwelt des Rates der Stadt Wolfenbüttel. Benannt wurde ich von der Fraktion der Piratenpartei, mit der ich deshalb auch beratend zusammenarbeite. Ich selbst bin aber parteilos. Dieser Kommentar ist also meine persönliche Meinungsäußerung.
Gleichwohl habe ich für die Diskussion in und mit der Fraktion ein erstes Diskussionspapier erarbeitet, in dem ich begonnen habe, die Argumente zusammenzutragen und zu diskutieren. Das Dokument
Windenergiepark zwischen Wolfenbüttel–Ahlum und Dettum?: Fachbericht und Stellungnahme an die Fraktion der Piratenpartei zur möglichen politischen Lösung des Konflikts;
kann derzeit in seiner ersten Fassung von der Internetseite der Stadtratsfraktion der Piratenpartei in Wolfenbüttel als PDF-Datei kopiert werden. Die überarbeitete Fassung folgt in Kürze, kann aber hier (WindenergieparkAhlumDettumV1_2.pdf) bereits eingesehen werden.

Februar 12

VII. Demokratie!?

Demokratie!?

Oder

Wie demokratisch sind wir wirklich?

Gedanken zum Zeitgeist VII – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Demokratie? Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass sich die deutlich überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland und in den anderen westlichen Nationen als Demokratinnen und Demokraten bezeichnen. Aber haben alle diese Demokratinnen und Demokraten die grundlegenden Gedanken der modernen Demokratie auch verstanden und verinnerlicht? Das Verhalten so mancher Akteure lässt daran zweifeln. Dies gilt nicht nur für Politiker und Politikerinnen oder auch Wirtschaftsführer und Konzernchefs, nein, auch wir „normalen“ Bürgerinnen und Bürger geben immer wieder Anlass zum Zweifeln. Da ist der Gedanke nicht fern, dass vielleicht etwas Nachhilfe notwendig ist. Ob diese dann auch hilft, ist eine andere Frage. Die hier nun vorgetragenen Denkanstöße können dabei sicherlich nur erste Hinweise für eine solche Nachhilfe liefern. Das scheint mir aber dringend geboten, denn der Umgang mit unserer Demokratie und ihren Fundamenten kann nicht selten als fahrlässig bezeichnet werden. Das Ansinnen, die Demokratie marktkonform zu gestalten gehört ebenso dazu, wie die Unaufrichtigkeit politischer Amtsträger, immer wieder anzutreffende „Sankt-Florians“-Mentalitäten oder z. B. auch die jüngst veröffentliche Umfrage, der Zufolge es die nicht eben seltene Auffassung gibt, deutsche Geheimagenten sollten eine Lizenz zum Töten bekommen.

“Demokratie wächst mit dem Denken des Volkes. Ohne dieses ist sie eine entsetzliche Täuschung. Dass die Entwicklung der Urteilskraft möglich ist, ist die Idee der Demokratie.“

Karl Jaspers [1]

Fangen wir gleich mit dem Fundament aller modernen Demokratien an, den Menschenrechten, welche wiederum nicht zuletzt in der Menschenwürde gründen. Eine demokratische Gesellschaft ohne Achtung der Menschenrechte wird zur Despotie. Das hatte sicherlich Karl Jaspers im Sinn, als er die einleitend zitierten Sätze formulierte. Und das hatte vermutlich auch Immanuel Kant im Sinn, als er Demokratie mit Despotismus gleichsetzte und deshalb für eine repräsentative Staatsform eintrat.[2] Die Sorge, die aus beiden Gedanken spricht, ist die Erfahrung des Falls fanatischer Menschengruppen in brutale Rohheit. Wie dringend die Erinnerung an dieses Fundament ist, zeigt beispielhaft ein im November durchgeführte repräsentative Umfrage des ZDF. 54 Prozent aller Bundesbürger und sogar 70 Prozent (!) der Befragten in einem Alter bis zu 24 Jahre befürworten, einem deutschen Geheimagenten unter bestimmten Bedingungen das Recht zum Töten zuzugestehen.[3] Wie dies an anderer Stelle bereits kommentiert wurde[3] [4], fehlt es diesen Bürgerinnen und Bürgern offensichtlich an der Einsicht in rechtstaatliche Prinzipien und menschlicher Einfühlsamkeit. Denn, wenn wir uns nicht in einem James-Bond-Film oder einem Computerspiel befinden, dann ist die Lizenz zum Töten die verdeckte Einführung der Todesstrafe und die Aufhebung der Gewaltenteilung zugleich. Der Agent tötet in staatlichem Auftrag und ist Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person. – Worin eine solche Denkweise wurzelt, sollte an anderer Stelle erörtert werden.

Gewaltenteilung

An gleicher Stelle, wo Kant auf die Gefahren einer Demokratie hinwies, sprach er auch von Bedingungen für ein funktionierendes Staatswesen. Eine fundamentale Bedingung dafür ist die im vorhergehenden Absatz genannte Teilung der Gewalten. Ihr Ursprung ist in den staatstheoretischen Schriften der Philosophen der Aufklärung John Locke und Montesquieu zu finden. Dieses Merkmal jeder modernen Demokratie ist die Dreiteilung in: die Gesetzgebende Gewalt (die Legislative; das Volk, in der parlamentarischen Demokratie die Parlamente), die Ausführende Gewalt (die Exekutive; die Regierungen und die ihnen unterstellten Behörden) und die Rechtsprechende Gewalt (die Judikative; die Richter, institutionalisiert in Gerichten). Idealerweise sind diese drei Gewalten strikt voneinander getrennt. Dabei sagt das Parlament, welche Richtung grundsätzlich eingeschlagen werden soll und stellt dafür die finanziellen Mittel bereit, die Regierung folgt diesem vorgegebenen Weg innerhalb eines von der Verfassung festgelegten Spielraumes. Und die Gerichte überwachen, ob sich alle an die vereinbarten Regeln halten. Für diese (hier vereinfacht dargestellte) moderne (parlamentarische) Demokratie kann neben den staatstheoretischen Überlegungen der Aufklärung auch die Französischen Revolution mit ihren politischen Umwälzungen (in Folge der Aufklärung) als Wurzel genannt werden. Die parlamentarische Demokratie ist hierbei (je nach Denkrichtung) schon ein Kompromiss, um bei der Vielzahl von Entscheidungen, Meinungen und Menschen noch handlungsfähig zu bleiben. Ebenfalls bereits auf die Aufklärung zurückzuführen ist auch die Benennung der Presse als sogenannte „vierte Gewalt“, die alle öffentlichen Vorgänge und Entscheidungen kritisch im Blick hält.

Volksherrschaft auf der Basis rechtsstaatlicher Prinzipien und unter Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte

Demokratie bedeutet dem Wortsinn nach Volksherrschaft. Damit diese nicht – wie einleitend angesprochen – in Despotie umschlägt, haben die meisten modernen Demokratien ihre Verfassung nicht nur auf die Gewaltenteilung aufgebaut, sondern auch auf rechtsstaatliche Prinzipien unter Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte. Das bedeutet, dass das Volk eines Staates der eigentliche Besitzer der Macht und somit der Gesetzgebungskraft ist. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ steht im bundesdeutschen Grundgesetz (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Souverän, also der Herrscher ist nicht mehr ein König oder Fürst, sondern das Volk. Das (Staats-)Volk bilden dabei alle Staatsbürger eines Staates. In der Europäischen Union sind dies je nach politscher Gesetzgebungs- und Verwaltungsebene die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eines einzelnen Mitglieds-Staates oder aber der gesamten Union. Zugleich wird in den Verfassungen direkt oder indirekt (durch UN-Verträge und UN-Erklärungen oder in Europa z. B. auch der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK) die Würde des Menschen und die Achtung der Menschenrechte als Grundlage von Gesellschaft und Gesetzgebung anerkannt (vgl. z. B. Art. 1 GG). Ausnahmslos alle Personen sind dabei an das Gesetz gebunden.

ausnahmslos parlamentarische Demokratien

Wohl auch aus den einleitend genannten Gründen wie auch aus praktischen Gründen heraus haben sich alle größeren demokratischen Staaten als parlamentarische Demokratien organisiert. Die Macht des Volkes wird von diesem also nicht direkt ausgeübt, sondern mit Hilfe von Vertreterinnen und Vertretern in Parlamenten. Diese Parlamentsmitglieder werden vom wahlberechtigten Teil des Volkes (meist alle volljährigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger) für definierte Perioden gewählt. Ergänzend dazu gibt es in den vielen Staaten die, meist eingeschränkte, Möglichkeit von Volksabstimmungen. Die Parlamente stellen in unseren Demokratien also das zentrale Element dar, denn in ihnen wird der Souverän, das Volk, vertreten (repräsentiert). Nicht zuletzt, weil sowohl das Volk als dann auch seine Vertretung politische Handlungen nur grundlegend beurteilen können, wenn sie möglichst alle Fakten kennen, ist Offenheit ein fundamental wichtiger Aspekt. Jede Geheimhaltung untergräbt die demokratische Teilhabe. Daneben ist Bildung ein weiterer fundamental wichtiger Aspekt, Bildung im Sinne von Wissensaneignung und im Sinne von Charakterbildung (wie andernorts bereits angesprochen). Denn diese sind notwendig für ein vernünftig gefälltes Urteil.

Das ist das Ideal!

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass in einer echten Demokratie nach modernem Verständnis das Volk an möglichst vielen, vor allem grundlegenden Entscheidungen beteiligt werden sollte. In den parlamentarischen Demokratien erarbeitet und verabschiedet das Parlament die Gesetze und kontrolliert die Regierung in der Ausführung dieser Gesetze. Die Regierung sorgt für die Umsetzung der Entscheidungen, Entscheidungen des Alltags trifft die Regierung eigenständig. Gegenüber dem Parlament muss die Regierung immer Rechenschaft ablegen und das Parlament wiederum muss immer dem Volk gegenüber Rechenschaft ablegen.

Da das Volk der Souverän ist, sind ihm auch alle staatlichen (auch die kommunalen) Einrichtungen grundsätzlich Rechenschaft also Offenheit schuldig – unabhängig von der formalen Basis des Amtes.

Die Basis allen staatlichen Handelns bilden die unveräußerlichen Menschenrechte und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Ob bei einem der Beteiligten Verstöße gegen vereinbarte Regeln stattgefunden haben, stellen dann unabhängige Gerichte fest (aufgrund der Bedeutung einer Anklage sollte eigentlich auch die Anklagebehörde unabhängig sein). Im Zweifel sorgt die Presse für das Bekanntwerden von Verfehlungen der staatlichen Organe. Das ist vereinfacht zusammengefasst das Ideal!

Geheimkommission mit weitreichenden haushaltspolitischen Entscheidungskompetenzen

Die politische Realität ist leider eine andere. Im Herbst vergangenen Jahres hat der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble angemahnt (sinngemäß), doch nicht zu hohe parlamentarische Hürden aufzubauen für das Handeln der Regierung in Bezug auf den Euro-Rettungsschirm[5]. Auch wenn Herr Schäuble seinerzeit in den Interviews immer die Bedeutung des Parlamentarismus hervorhob, so wurde dennoch wenig später eine neunköpfige Geheimkommission des Parlaments ins Leben gerufen. Und diese Geheimkommission soll weitreichende haushaltspolitische Entscheidungskompetenzen haben. Nach einer Klage von Bundestagsabgeordneten hatte das Bundesverfassungsgericht die Arbeit dieser Kommission bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung dann jedoch auf Eis gelegt.[6] Allerdings wird mittlerweile berichtet, dass das Verfassungsgericht angedeutet hat, die Entscheidung nicht zu „kassieren“.

 „Nur auf dem Weg der Wahrheit in der Öffentlichkeit kann der politische und wirtschaftliche Gang des Daseins für uns zum Guten führen. Maximale Öffentlichkeit ist für die Wahrheit notwendig … Öffentlichkeit ist der Raum der Politik eines freien Volkes. Das Maß der Öffentlichkeit ist Kriterium seiner Freiheit.“[7]

Karl Jaspers

Unabhängig von der noch ausstehenden Entscheidung des Verfassungsgerichts kann festgestellt werden, dass sowohl das Anmahnen von Herrn Schäuble als auch die Gründung einer Geheimkommission mit finanzpolitischen Kompetenzen einen starken Eingriff in die demokratischen Prozesse darstellen. Denn das Haushaltsrecht ist ein fundamentales Recht des Parlaments, um das politische Handeln (also das Regierungshandeln) zu bestimmen. Und eine echte Demokratie kann nur in einem Klima der Offenheit – also ohne Geheimkommissionen – stattfinden! Wenn Strukturen der Wirtschaft dem entgegenstehen, dann müssen diese Strukturen geändert werden, nicht die demokratischen Prozesse! Alles andere stellt unsere Demokratie in Frage. Das Parlament repräsentiert den Souverän, nicht die Wirtschaft oder Teile von ihr. Besonders Bedenklich wirkt dann die zeitnah dazu ausgesprochene Forderung von Bundeskanzlerin Merkel nach einer „marktkonformen Demokratie“.[8] Hier soll das Pferd eindeutig von der falschen Seite aufgezäumt werden.

Wie demokratisch sind wir nun tatsächlich organisiert?

Nun darf gefragt werden: warum wird das alles erzählt? Das hat doch jeder in der Schule gelernt. – Das mag wohl sein, aber die Betrachtung der aktuellen politischen Lage (wie bereits beispielhaft angesprochen) legt es nahe, dass eben doch ein wenig „Nachhilfe“ oder Auffrischung des Gedächtnisses in Staatstheorie oder besser Demokratietheorie für einige Akteure nützlich sein könnte. Denn wie demokratisch sind wir nun tatsächlich organisiert?

In so gut wie allen westlichen Demokratien wird die Herrschaft des Volkes – wie bereits erwähnt – repräsentativ ausgeübt. Das heißt, vom Volk gewählte Vertreterinnen und Vertreter (Repräsentanten) treffen die Entscheidungen (in den Parlamenten). Einzig in der Schweiz ist die Volksabstimmung auch auf der höchsten Ebene eine häufiger stattfindende Form der Entscheidungsfindung. Wenn wir diese parlamentarischen Demokratien dann eingehender betrachten, stellen wir aber weiter fest, dass vor allem Legislative und Exekutive nicht so deutlich getrennt sind, wie dies sein sollte und es eine Machtverschiebung hin zur Exekutive gibt. Die überwiegende Zahl der Regierungsmitglieder hat zugleich einen Sitz im Parlament, Gesetze werden häufig in Ministerien ausgearbeitet und nicht in den Parlamentsausschüssen. Nicht selten findet diese Gesetzesformulierung in den Ministerien sogar unter Beteiligung von Konzernvertretern aus der Wirtschaft (also einer nicht mandatierten Interessengruppe) statt. Und auch die Unabhängigkeit der Richter ist nicht vollständig gegeben. Die für die rechtstaatliche Überwachung zuständige und notwendige Staatsanwaltschaft schließlich ist ohnehin in den Exekutivapparat eingebunden, ermittelt also nicht immer unabhängig. Die im Medienbereich stattfindende Konzentration der Eigentumsverhältnisse schließlich hat zunehmend eine fehlende Objektivität und fehlende kritische Distanz in der Berichterstattung zur Folge.

Sorge um die „Wettbewerbsfähigkeit unserer Enkel“

Betrachten wir ein weiteres Beispiel aus den vergangenen Monaten. Am Rande des G20-Treffens in Cannes hatte es eine Diskussion um die Hilfen für das geschwächte Griechenland gegeben. Griechenland soll weitere Gelder bekommen, wenn es mit den Zahlungen verbundene Auflagen und Sparmaßnahmen befolgt. Der damalige griechische Regierungschef Giorgos Papandreou stimmte dem zu, kündigte wenig später aber eine Volksabstimmung über diese für das griechische Volk weitreichende Entscheidung an. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy reagierten daraufhin zunächst nur überrascht und empört. Frau Merkel sorgte sich dabei um die „Wettbewerbsfähigkeit unserer Enkel“, nicht aber um unsere Demokratie![9]

Unabhängig von der (in der Öffentlichkeit häufig viel zu einseitig und verkürzt geführten[10]) Diskussion um die Probleme Griechenlands kann hier festgestellt werden, dass die Maßnahmen tiefe Einschnitte in das Leben der griechischen Bevölkerung bedeuten. Und in einer Demokratie gehört es zum Recht des Volkes, über grundlegende Entscheidungen mitbestimmen zu dürfen. Entsprechend erscheint die Empörung über ein solches Vorgehen, die seinerzeit von einigen Akteuren zu hören war, aus demokratischer Sicht zumindest bedenklich.

Zwar können – erstrecht in unserer „bildungsarmen“ Mediengesellschaft – Volksabstimmungen auch populistisch missbraucht werden. Aber eine direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern – welcher Art auch immer – ist gerade in sehr kontroversen Situationen hilfreich wenn nicht sogar notwendig. Das ist zum einen eine Frage des Respekts dem Souverän gegenüber und zum anderen das Wissen darum, dass eine Entscheidungsfindung außerhalb der ausgetretenen Pfade des administrativen Alltags in der Regel mehr kreatives Potential entfalten kann. Insofern sollte eine Volksabstimmung oder –Befragung möglichst am Ende eines solchen kreativen Prozesses stehen.

Wenn dann aber jüngst sogar ein Sparkommissar der EU für Griechenland gefordert wird[11], dann ist das die endgültige Auslieferung des Staatswesens an die Finanzwirtschaft. Dann stellt das eine völlige Missachtung der Souveränität und der Würde des griechischen Volkes dar. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.

Ergänzend sei hier noch angemerkt, dass gerade auf der EU-Ebene viele Entscheidungsbefugnisse nicht eindeutig demokratisch legitimiert sind. In der Kommission werden viele Entscheidungen getroffen, nicht im Europäischen Parlament. Und viele an den aktuellen Entscheidungen beteiligten Organisationen und Einrichtungen besitzen gar keine demokratische Legitimation (Ratingagenturen, IIF) und vertreten vermutlich ohnehin bestimmte (auch nationale) Interessen.

Eine Demokratie lebt aus dem Denken, dass alle Menschen gleich sind in ihrem Wert und in ihren Rechten

An Beispielen können noch viele weitere aufgeführt werden. Zu nennen sind zum Beispiel wieder Guttenberg für das fehlende Empfinden für die Bedeutung von Aufrichtigkeit und auch von gewissenhafter Arbeit. Auch Herr Wulf darf nicht ungenannt bleiben, denn auch hier scheint die Empfindung für die Bedeutung von Aufrichtigkeit zu fehlen wie auch die Einsicht in die Bedeutung der Unabhängigkeit von politischen Ämtern. Diese an anderer Stelle bereits besprochenen Vorgänge zeigen beispielhaft, das es bei zunehmend mehr Menschen in der Politik und auch anderswo ein fehlendes Unrechtsbewusstsein, eine gewisse Überheblichkeit und Maßlosigkeit und ein Verkennen der Bedeutung von Aufrichtigkeit zu geben scheint.

Auch wenn die aktuelle Diskussion um den amtierenden Bundespräsidenten leider von eigentlich wichtigeren Themen (z. B. einer zunehmenden Kriegsbereitschaft) ablenkt (es kommt bisweilen das Gefühl auf, es könnte Absicht sein). So rückt diese Diskussion eben auch den zuvor genannten, durchaus folgenschweren Missstand einmal mehr ins Blickfeld. Sicher sind auch Politikerinnen und Politiker „nur“ Menschen (es geht deshalb auch nicht um wirklich private Angelegenheiten!). Aber gerade die Menschen in den exponierteren Staatsämtern haben eben eine besondere Verantwortung übernommen und sind in ihrer herausgehobenen Position eben auch Vorbilder.

Eine Demokratie lebt unter anderem aus dem Denken, dass alle Menschen gleich sind in ihrem Wert und in ihren Rechten. Auch wenn es tatsächlich Menschen gibt, die einen mit solchen Gedankenäußerungen als Kommunisten (dämonisierend gemeint) bezeichnen, so ist das nicht kommunistisch (zumindest in den real existierenden Systemen gab es ebenfalls keine Gleichheit und noch weniger die Achtung von Menschenrechten!), sondern es ist schlicht menschlich, also die Würde des Menschen – jedes einzelnen Menschen – achtend! Nichts anderes einfordernd also, als was unsere Verfassung garantiert. Und deshalb gilt für politische Ämter vom Grundsatz (oder zumindest vom Grundgedanken) her das lateinische Prinzip primus inter pares – Erster unter Gleichen (wenn dies auch in der konkreten rechtlichen Ausgestaltung der Ämter aus praktischen Gründen meist nicht der Fall ist). Das Verhalten mancher Amtsträger aber legt den Schluss nahe, dass ihnen dieses Denken fremd ist.

Demokratie lebt von Offenheit

Um nach diesem Exkurs zu den (vereinfacht gesagt) Guttenberg-Wulf-Phänomenen nun aber doch wieder zurück zu den Kernfragen zu kommen, soll auch die aktuelle Geheimdienstdiskussion nicht unerwähnt bleiben. Wie einige Absätze zuvor schon angesprochen lebt die Demokratie von Offenheit. Das bedeutet, dass alle Angelegenheiten, die eindeutig ein öffentliches Interesse berühren, auch öffentlich stattfinden müssen. Nur Transparenz schafft Vertrauen und schützt vor Missbrauch und Fehlentwicklungen. Behörden und staatliche Handlungen berühren grundsätzlich ein öffentliches Interesse. Genaugenommen widersprechen Geheimdienste als solche schon diesem Grundsatz. Nun mag es nachvollziehbare Ausnahmegründe geben, weshalb dennoch Geheimdienste notwendig sind und manches verschwiegen werden muss. Dann aber muss eine uneingeschränkte parlamentarische Kontrolle stattfinden und alles darf den Boden unserer Verfassung nicht verlassen! Gerade der aktuelle Blick auf die Geheimdienste lässt leider aber daran zweifeln, ob ihre Arbeit wirklich immer unserer Demokratie dient. Ein Verfassungsschutz wird seinem Namen wohl kaum gerecht, wenn er zweifelsfrei erkennbare Feinde unserer Verfassung – milde ausgedrückt – nicht ernst nimmt und gewähren lässt – mit all seinen schrecklichen Folgen – andernorts aber Menschen ins Visier genommen werden, die häufig schlicht einfordern, was in den Grundrechtsartikeln unserer Verfassung verbrieft ist. Eine solche Behörde muss sich Kritik und auch die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung gefallen lassen.

Wo der eigentliche Wertmaßstab zu liegen scheint, zeigt dann auch die häufig anzutreffende Sichtweise, Betriebsgeheimisse von Unternehmen seien in der Regel höher einzustufen als das Wohl und Interesse der Allgemeinheit – sei es beim Umgang mit gesundheitsgefährdenden Stoffen oder bei Verträgen zwischen öffentlichen Institutionen und privaten Unternehmen.

Bleiben also wieder ein paar Fragen

Bleiben am Ende wieder ein paar Fragen, die sich jede und jeder stellen sollten. Welchen Wert hat echte Demokratie für mich? Wie kann echte Demokratie auf der Basis der unveräußerlichen Menschrechte verwirklicht werden? Wie kann ein Wirtschafts- und Finanzsystem organisiert sein, dass eine demokratische Gesellschaft stützt und nicht hintertreibt? Und wie habe ich das Handeln und Verantwortungsbewusstsein der auftretenden Akteure aus demokratischer Sicht einzuordnen?

Und wer jetzt noch fragt, warum das wichtig ist?, der lese bitte regelmäßig mehr Presseveröffentlichungen als die der BILDzeitung oder auch der etablierten Tagespresse. Ein Blick in die Berichte der taz vom 11.11.2011 präsentiert beispielhaft: einen Polizeiskandal in Hessen, der zeigt, welche bedenklichen Formen ein zumindest unreflektiertes Handeln auch in unserer Demokratie annehmen kann; und den brutalen Kampf um die Informationskontrolle im Netz in Mexiko, der möglich wird, wenn eine Gesellschaft es nicht schafft, die genannten Basisprinzipien durchzusetzen – und zwar schon in den „harmlosen“ Anfängen!

„Die Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern der Sittlichkeit.“

Willy Brandt [12]

Nachsatz

Demokratie bedeutet nicht nur: Rechte einfordern. Ohne das (häufig ehrenamtliche) Engagement vieler einzelner Menschen in politischen Ämtern wie in Vereinen und Initiativen, funktioniert keine Demokratie. Glaubhaft wird dieses Engagement aber erst, wenn es sich über bloße Eigeninteressen hinweg auch der Gemeinschaft von Menschen insgesamt verantwortlich fühlt und entsprechend handelt. Es gibt auch Pflichten: mindestens die Pflicht der Verantwortung eines jeden Menschen seinen Mitmenschen gegenüber.

Wolfenbüttel, Herbst 2011 und Winter 2011/2012.

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Quellen und Lesehinweise:

[1] Jaspers, Karl: Freiheit und Wiedervereinigung. Zitiert nach: Jaspers, Karl: Von der Weite des Denkens: Eine Auswahl aus seinem Werk. München: Piper, 2008, S. 138.

[2] Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden: Ein philosophischer Entwurf. Hrsg. V. Rudolf Malter. Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 1993, S. 14 [1: 1795] [Anmerkung: Diese Schrift von Kant wird heute allgemein anerkannt als ein erster Versuch, so etwas wie die Vereinten Nationen als Garant eines friedlichen Zusammenlebens der Völker zu begründen].

[3] Duve, Silvio: „ZDF-Umfrage: Deutsche wollen Geheimdienst-Morde zur Gefahrenabwehr“ Telepolis vom 30.01.2012 (http://www.heise.de/tp/artikel/36/36319/1.html).

[4] Lieb, Wolfgang: „Anmerkung“ in den „Hinweisen des Tages“ vom 31. Januar 2012, Punkt 12 „ZDF-Umfrage: Deutsche wollen Geheimdienst-Morde zur Gefahrenabwehr“ auf den NachDenkSeiten.

[5] „Schäuble warnt vor zu viel Mitsprache des Bundestages“ in Zeit-Online http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-08/finanzminister-schuldenkrise-rettungsschirm und

„Schäuble warnt Bundestag vor zuviel Mitsprache“ in Stern-Online http://www.stern.de/politik/deutschland/reform-des-euro-rettungsschirms-schaeuble-warnt-bundestag-vor-zu-viel-mitbestimmung-1722798.html

[6] in Hamburger Abendblatt Online http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2075318/Nur-24-Stunden-Freude-Karlsruhe-bremst-Rettungsschirm.html

[7] Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens. Ungek. Taschenbuchausg. München: Piper, 1997 [1965(1)], S. 121.

[8] Angela Merkel, vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=10611

[9] Leo Kim: „Der Schwächste fliegt aus Euroland“ stern.de vom 03.11.2011 (http://www.stern.de/politik/deutschland/gipfel-in-cannes-der-schwaechste-fliegt-aus-euroland-1746747.html)

sowie

Angela Merkel, Nicola Sarkozy: „Pressekonferenz zum griechischen Referenz“ Mitschrift Pressekonferenz Die Bundesregierung – Nachrichten vom 02.11.2011 (http://www.bundesregierung.de/nn_1272/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/11/2011-11-03-merkel-sark-cannes.html).

[10] An dieser Stelle seien zum Beispiel die „NachdenkSeiten“ als eine sinnvolle Ergänzung des täglichen Nachrichtenkonsums empfohlen! Denn in den Zeitungsmeldungen und Nachrichtensendungen wird leider nur selten kritisch berichtet. Vielmehr beten die Medien Pressemitteilungen aus Politik und Wirtschaft vor und zitieren sie „anerkannte Fachleute“, die bei näherer Betrachtung nicht selten handfeste Interessen verfolgen und nicht objektive Wissenschaft betreiben. Die NachDenkSeiten sind einer der wenigen vorhandenen Versuche, noch einem Journalismus mit Substanz nachzugehen. Das heißt Beiträge mit eigener Recherche und kritischen Hinterfragen sogenannter Fakten erarbeiten. Deshalb finden wir auch dort dennoch sicher nicht „die Wahrheit“. Aber die Realität wird mindestens facettenreicher. Und das kommt der Wahrheit vermutlich näher als die Tageszeitung für sich – von bekannten Boulevard-Blättern (auch online) ganz zu schweigen.

[11] Lohrenz, Carolin: „“Wie einst der Angriff von Hitlers NS-Deutschland“: Debatte über Merkels Sparkommissar“, Spiegel-Online, 03.02.2012, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,813093,00.html

und

Papadimitriou, Jannis: „Athen gegen „Gauleiter“: Sparkommissar für Griechenland gefordert“, taz.de, 29.01.2012, http://www.taz.de/Sparkommissar-fuer-Griechenland-gefordert/!86632/.

[12] Willy Brandt, Erinnerungen, 1989, zitiert nach Wikiquote (http://de.wikiquote.org/wiki/Willy_Brandt).

—–

Informationen, Gedanken und Hintergründe zu „Griechenland“:

Aufsätze aus dem Internet

Jens Berger: „Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte“ in NachDenkSeiten – Die kritische Webseite vom 28.10.2011.

Wolfgang Lieb: „Referendum in Griechenland: Die Politik muss endlich begreifen, es geht um das Vertrauen der Menschen und nicht um das Vertrauen der „Märkte““ in NachDenkSeiten – Die kritische Webseite vom 02.11.2011.

Jens Berger: „Denk ich an Europa in der Nacht …“ in NachDenkSeiten – Die kritische Webseite vom 03.11.2011.

Jens Berger: „Ergänzungen und Erklärungen zum Artikel »Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte«“ in NachDenkSeiten – Die kritische Webseite vom 04.11.2011.

Die Aufsätze stammen alle aus dem Herbst 2011, wo ich mit diesem Text begonnen hatte. Mittlerweile sind auf den NachDenkSeiten weitere interessante Aufsätze zum Thema erschienen.

Eigene Beiträge zum Thema:

#1 Ratingagenturen!? – Ist es aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sinnvoll, wenn private, gewinnorientierte Unternehmen über die Kreditwürdigkeit von Staaten (!) entscheiden? – Juli 2011

sowie eigentlich die ganze nachstehende Rubrik.

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Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

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Dezember 24

Kommt zur Besinnung!

Kommt zur Besinnung!

Festtagsgedanken – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

„Ihr folget falscher Spur,
Denkt nicht wir scherzen!
Ist nicht der Kern der Natur
Menschen im Herzen?“

Johann Wolfgang von Goethe

Wenn ich in das nun endende Jahr blicke, weiß ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Eigentlich müssten wir alle weinen. Denn ob ich unsere politischen Skandale in Deutschland betrachte, ob ich die Katastrophe in Japan sehe oder ob ich zum Klimagipfel in Durban schaue – neben dem zum Teil unmittelbar damit verbundenen menschlichen Leid ist alles auch Ausdruck einer ebenso bedenklich wirkenden grundsätzlichen Gegebenheit. All diese Vorgänge und noch manches mehr erwecken den Anschein einer mindestens weit verbreiteten borniert wirkenden Dummheit. Und diese nötigt einem dann schon fast wieder das Lachen ab – wenn auch keine Freude. Sollte es aber keine bornierte Dummheit sein, was hinter diesen und vielen anderen Vorgängen steckt, wird es noch finsterer. Aber davon will ich zum „Fest der Liebe“ nicht anfangen zu reden.

Vielmehr möchte ich alle und vor allem die, die auch jetzt bei den Vorgängen um den Bundespräsidenten wieder so „schlau“ daher reden, zur Besinnung aufrufen. Denn nicht ein Amt wird hier beschädigt (das könnte ohnehin allenfalls der Amtsinhaber beschädigen), nein, unsere Demokratie nimmt Schaden. Und in einer Gesellschaft, in der Geld und Besitz eine, ja die zentrale Rolle spielen, ist es nicht die kritische öffentliche Auseinandersetzung mit möglichen finanziellen Abhängigkeiten politischer Amtsträger, die schädigend wirkt. Nein, die Demokratie lebt und stirbt mit einer kritischen Öffentlichkeit!

Von einzelnen Personen und Vorgängen Abstand nehmend rückt nach meinem Empfinden ein grundsätzliches Problem in den Mittelpunkt. Mitunter mehr noch als in den einzelnen Vorgängen wird dieses Problem zuweilen durch die jeweils zu findenden Kommentare von Chefredakteuren, Politikerinnen und anderen Menschen sichtbar. Nicht eben wenige Menschen halten sich (oder eben „die da oben“) dem Anschein nach für etwas Besseres und glauben deshalb wohl, dass für sie (oder eben „die da oben“) andere Regeln gelten. Bei zunehmend mehr Menschen in der Politik und anderswo scheint es ein fehlendes Unrechtsbewusstsein, eine gewisse Überheblichkeit und Maßlosigkeit und ein Verkennen der Bedeutung von Aufrichtigkeit zu geben. Ohne unsere demokratische Gesellschaft damit gleich in den Untergang reden zu wollen sehe ich hierin eine der großen Gefahren für eben diese demokratische Gesellschaft.

„… der Stolz eines Bürgers einer Republik ist [es], nicht mehr zu gelten in öffentlichen Angelegenheiten als irgendein anderer Bürger – dies ist seine »Tugend« – … wenn man in einer Republik nicht mehr weiß, was Tugend ist, … so geht [diese] … ihrem Ende entgegen.“

Hannah Arendt

Aber das Jahr hatte auch gute Geschichten. Im Alltag treffen wir auch immer wieder auf aufmerksame und hilfsbereite Menschen. In Vereinen und Institutionen engagieren sich zahlreiche Menschen beruflich wie ehrenamtlich. Wenn viele von uns die Festtage genießen, sind andere Menschen „unsichtbar“ für uns da – in Krankenhäusern, Polizeirevieren, Feuerwachen … oder auch in den Restaurants. Und nicht zuletzt: überall in der Welt standen Menschen gegen Unrecht und Unterdrückung auf und forderten ihre Rechte ein. Das gibt Hoffnung!

Der Ostfalen-Spiegel wünscht all seinen Leserinnen und Lesern ein schönes und besinnliches Weihnachtsfest und ein gesundes und friedliches neues Jahr!

Wolfenbüttel, 24. Dezember 2011

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Dezember 7

Neuer Attac-Basistext erschienen

Europa-Krise: Wege hinein und mögliche Wege hinaus

Neuer Attac-Basistext erschienen

Attac-Pressemitteilung vom 6. Dezember  2011

Frankfurt am Main, 06.12.2011. (attac) Die Europäische Union befindet sich in der schwersten Krise seit ihrem Bestehen. Nicht nur die gemeinsame Währung, das gesamte Integrationsprojekt steht auf dem Spiel. Die vorherrschende Krisenpolitik von EU und Internationalem Währungsfonds IWF – maßgeblich vorangetrieben von der deutschen Bundesregierung – stellt einen weitreichenden Angriff auf soziale und demokratische Rechte dar. Die Krise wird ausgenutzt, um den europäischen Neoliberalismus nachhaltig zu verschärfen und den Wohlstand weiter nach oben umzuverteilen. Wie konnte es so weit kommen? Und welche möglichen Wege aus der Krise gibt es?

Der Text zeichnet die Etappen der Eurokrise nach, analysiert ihre Ursachen, zeigt aber auch Alternativen

Diesen Fragen gehen Anne Karrass und Steffen Stierle in dem neuen Attac-Basistext „EuropaKrise: Wege hinein und mögliche Wege hinaus“ nach. Der Text zeichnet die einzelnen Etappen der EU-Krise nach und analysiert ihre politischen und ökonomischen Ursachen. Er zeigt aber auch auf, welche Alternativen es gibt.

Steffen Stierle: „Man kann von einem neoliberalen ‚Window of Opportunity‘ – einem Fenster der Möglichkeiten – sprechen, das die Krise öffnet: Es wird genutzt, um soziale und demokratische Rechte in einer Geschwindigkeit abzubauen, die ohne Krise undenkbar wäre.“

Nur ein soziales, demokratisches und ökologische Europa ist ein legitimes Europa

Anne Karrass: „Europa hat aber nur eine Zukunft, wenn es die entgegengesetzte Richtung einschlägt. Nur ein soziales, demokratisches und ökologische Europa ist ein legitimes Europa. Wenn die Politik keine solidarischen Antworten auf die Krise findet, provoziert sie einen Zerfall in nationalstaatliche Egoismen und bereitet den Nährboden für eine weitere rechtspopulistische Welle.“

Anne Karrass, Sozialökonomin, arbeitet im Deutschen Bundestag und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac an. Steffen Stierle ist Volkswirt und Mitglied im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis sowie in der Attac-Projektgruppe Eurokrise.

Taschenbuch-Reihe „Attac-Basis-Texte“ des VSA-Verlags

Der Band ist Teil der Taschenbuch-Reihe „Attac-Basis-Texte“ des VSA-Verlags, die grundlegendes Wissen über einzelne Themenfelder der Globalisierungskritik vermittelt. Der Text hat rund 100 Seiten und ist für 7 Euro im Buchhandel oder im Attac-Webshop erhältlich.

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Dezember 4

#3 Der Marsch in die Vergangenheit?

Der Marsch in die Vergangenheit?

Gefährliche Tendenzen in Politik und Bundeswehr

Denk-Anstoß #3 – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Wolfenbüttel, 04.12.2011 (update 05.12.2011). Das Dossier, ein „Portal für kritischen Journalismus“, wie es sich selbst überschreibt, hat in den vergangenen Tagen in seiner Presseschau zwei Beiträge über die militärisch gestützte Außenpolitik Deutschlands veröffentlicht. Ende November wurde ein Feature des Deutschlandfunks vorgestellt, welches sich in diesem Zusammenhang vor allem mit dem Kundus-Bombardement beschäftigt und sehr bedenklich stimmende Einsichten liefert. Am 3. Dezember wurde dann auf einen Beitrag in der Zweiwochenschrift Das Blättchen verwiesen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Zunahme der Bedeutung der Kriegsmarine bei den Militärs. In diesen Hinweisen des Dossiers wird hervorgehoben, dass eine Tendenz zu erkennen ist, die Außenpolitik und hierfür auch die Bundeswehr auf Leitbilder „einzuschwören“, die einer vordemokratischen Denkungsart folgen.

Krieg wieder als legitimes Mittel der Außenpolitik etablieren

Diese Beiträge sind Anlass, auch an dieser Stelle auf dieses wichtige Thema hinzuweisen. Denn die genannte Tendenz ist deutlich zu erkennen. Es scheint einfacher – und vor allem gewinnbringender zu sein -, den Krieg wieder als legitimes Mittel der Außenpolitik zu etablieren. Die Ursachen für gewaltsame Konflikte oder zum Beispiel Piraterie zu suchen und dann an deren Beseitigung menschlich verantwortungsvoll zu arbeiten, bringt eben keine schnellen Gewinne. Außenpolitik mit dem Kanonenboot aber ist vordemokratisch. Und für eine solche Politik sind bedingungslos gehorsame Soldaten und Soldatinnen notwendig, die ihren Eid dann ähnlich manch verantwortlicher Politikerinnen und Politiker nur noch als notwendige Formalie und letztlich also hohle Phrase anzusehen scheinen. – Sind wir also tatsächlich auf einem solchen Weg?

„die wirtschaftlichen Interessen von Deutschland durchsetzen“

2010 musste der damalige Bundespräsident Horst Köhler noch zurücktreten, als er ungeschickterweise (?) diese neue Ausrichtung in Außen- und Sicherheitspolitik ausgesprochen hatte. Das genau dieses Denken mittlerweile aber Einzug in die Köpfe der Menschen in unserem Land hält, zeigt zum Beispiel auch ein Leserbrief, der jüngst in der Braunschweiger Zeitung zu finden war. Der eigentliche Inhalt des Leserbriefes war die Kritik an der Berichterstattung zur angeblichen Waffenausbildung von Neonazis auch in Reservisten-Kameradschaften (was hier nicht das Thema ist). Die im Zusammenhang mit der Änderung der Leitbilder interessante Aussage in dem Leserbrief aber lautet: „… die Frauen und Männer, die für unser Land auf politische Entscheidung unter anderem auch am Horn von Afrika, »Handelsrouten für Europa«, die wirtschaftlichen Interessen von Deutschland durchsetzen.“* Erst in einem zweiten Satz werden dann noch Rechte und Freiheiten genannt.

Mit dem beeideten Auftrag der Bundeswehr hat das nichts mehr zu tun

Möglicherweise hat der Autor des Leserbriefes seine Aussage nicht überdacht. Aber auch das wäre dann ja ein Ausdruck eines Einzugs dieser vordemokratischen Leitbilder in das Denken der Menschen. Mit dem beeideten Auftrag der Bundeswehr, „Recht und Freiheit“ der Bundesrepublik Deutschland „tapfer zu verteidigen“ hat das Durchsetzen von wirtschaftlichen Interessen aber wenig bis nichts mehr zu tun. Recht und Freiheit gründen im Grundgesetz. Und das verpflichtet „alle staatliche Gewalt“, also selbstverständlich auch die Bundeswehr, „die Würde des Menschen … zu achten und zu schützen“. Alles Wesentlich dazu findet sich in Artikel 1 des Grundgesetzes! Einen Hinweis darauf, dass sicher nicht alle Soldatinnen und Soldaten diesen „neuen Leitbildern“ folgen wollen und werden, gibt da zum Glück der seit 1983 aktive Arbeitskreis Darmstädter Signal, einem „kritischen Forum für Staatsbürger in Uniform“, wie der Arbeitskreis sich selbst bezeichnet.

Weitere Informationen:

Die mp3-Datei bitte unbedingt anhören (re)!

*Leserbrief „Reservisten benötigen keine Waffen“ in Braunschweiger Zeitung vom 02.12.2011, S. 32 (Hervorhebungen im Original).

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Dezember 2

#2 Ein Blick über den Presse-Rand

Ein Blick über den Presse-Rand

Denk-Anstoß #2 – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Wolfenbüttel, 01.12.2011. Auch der Ostfalen-Spiegel wurde unter anderem ins Leben gerufen, um die Berichterstattung der vorhandenen Medien zu ergänzen. Dies geschah mit dem Eindruck, dass diese Berichterstattung immer wieder recht einseitig ist und sich in politischen Themen meist an Vorgaben einflussreicher Parteien, Organisationen und Unternehmen hält. Eine besondere Rolle spielt hier zum Beispiel die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft(INSM). Auch mangelt es allem Anschein nach nicht selten an präziser Recherche und fundierten Hintergrundinformationen.

Was veranlasst zu dieser Sichtweise?

Was veranlasst zu dieser Sichtweise? Nun, ein aufmerksamer und kritischer Blick in die Presse zeigt solches zumindest tendenziell mitunter auch eindeutig. Die Überschriften wie die Inhalte ähneln einander nicht selten. Alle arbeiten sich am gleichen, gerade auf der Informationswelle oben treibenden Thema ab und lassen die gleichen „Experten“ zu Wort kommen. Wirklich fundierte Kritik, wie sie von einer „vierten Gewalt“ zu erwarten wäre, bleibt die Ausnahme.

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“

Bei näherer Betrachtung werden dann interessante Aspekte sichtbar: Nicht wenige Menschen lassen sich durch die Springerpresse mit ihrem Flaggschiff, der Boulevardzeitung Bild-Zeitung (und bild.de), informieren. Schon Heinrich Böll hatte mit seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ auf die Arbeitsweise, den Informationsgehalt und die dahinter stehende Denkungsart dieser Medien hingewiesen. Und daran hat sich trotz aller Kaschierungen im Prinzip bis heute nichts geändert (wie z. B. auch der BILDblog immer wieder belegt). Dennoch hat die Springer-Presse eine breite Leserschaft in allen (!) Bildungsschichten.

konzernartiges Zusammenwachsen der Verlage in der Lokalpresse wie auch in den überregionalen Zeitschriften

Und die anderen? In der Lokalpresse wie auch in den überregionalen Zeitschriften hat es eine konzernartiges Zusammenwachsen der Verlage gegeben, so dass von einer wirklichen Unabhängigkeit auch hier nicht mehr gesprochen werden kann. Aufmerksame Leser erkennen immer wieder die Einflüsse aus Politik und Wirtschaft auf die Berichterstattung. Denn warum sonst sollte zum Beispiel die von Wissenschaftlern gern gelesene „ZEIT“ dem Plagiator Guttenberg jüngst die Titelstory mit „freundlichem“ Portrait auf der Titelseite schenken? Und auch die lieben „Experten“ sind häufig nicht so wissend und unabhängig, wie es ihre wissenschaftlichen Titel glauben machen. Denn nicht selten werden bei genauerer Betrachtung immer gleiche Auftraggeber für Forschungsarbeiten sichtbar und eine Professorentitel allein ist ohnehin kein Garant für Weisheit.

ein kleines Jubiläum im Bereich kritischer Medien

Nun lassen es Zeit und Größe dieser Redaktion nicht zu, dass hier ein ausreichender Ausgleich geschaffen wird. Um so deutlicher aber ist ein kleines Jubiläum im Bereich kritischer Medien Anlass, auf die genannten Probleme und Defizite hinzuweisen und auf „eine gebündelte Informationsquelle für jene Bürgerinnen und Bürger …, die am Mainstream der öffentlichen Meinungsmacher zweifeln und gegen die gängigen Parolen Einspruch anmelden“*, zu verweisen.

Am 30. November feierten die NachDenkSeiten ihr achtjähriges Jubiläum. Als Glückwunsch und als Anregung, diese „kritische Webseite“ regelmäßig zu besuchen (ein News-Feed kann abonniert werden) und auch finanziell zu unterstützen, veröffentlicht der Ostfalen-Spiegel im Anschluss den Jubiläumsartikel der NachDenkSeiten. Zugleich finden sich in diesem Artikel auch noch wichtige Informationen zum immer noch aktuellen Stuttgart21! Als weitere kritische Informationsquellen sind an dieser Stelle Blogs zu nennen wie zum Beispiel der Spiegelfechter, in welchem auch interessante Diskussionen geführt werden oder unabhängige Zeitschriften wie das Greenpeace-Magazin, was nicht nur reine Umweltthemen (gibt es die überhaupt?) abarbeitet und es seit Jahren schafft, sich ohne Anzeigen zu finanzieren.

Den eigenen Verstand und die eigene Vernunft dürfen wir nie abschalten!

Auch all diese Informationsquellen sind sicher nicht immer objektiv oder fehlerfrei. Den eigenen Verstand und die eigene Vernunft dürfen wir nie abschalten! Jedoch sind die Informationen in den zuletzt genannten Medien eben nicht das Produkt einer hochdotierten PR-Mannschaft, sondern das Ergebnis von Menschen, die mehrheitlich auch aus menschlichen Idealen heraus arbeitenden. Wer neben seiner lokalen Tageszeitung einen regemäßigen Blick in solche Medien wirft, wird also sicher nicht dümmer ;-).

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August 5

VI. Wer das Geld hat – hat auch Verantwortung

Wer das Geld hat – hat auch Verantwortung

 Oder

 Kapital bedeutet Macht und fordert Verantwortung

 Gedanken zum Zeitgeist VI – im Ostfalen-Spiegel

 Von Rainer Elsner

Ein Beispiel für den realen Umgang mit Kapital, Macht und Verantwortung zeigt der Atomausstieg. Kaum ist dieser Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie erneut beschlossen, da fangen die großen Energieversorger E.ON und RWE auch schon wieder an, zu stänkern und Schadenersatz zu fordern[1]. Statt sich ihrer Verantwortung allen Menschen gegenüber bewusst zu werden und entsprechend zu handeln, ziehen sie sich hinter betriebswirtschaftliche Argumente zurück – von Politikerinnen sekundiert, von Aktionären bejubelt. Das ganze geschieht zudem vor dem Hintergrund, dass diese Konzerne jahrzehntelang staatliche Vorteile genossen haben und dann ja bereits mit der rot-grünen Bundesregierung einen Atomausstieg vereinbart hatten! Anhand dieses Beispiels sollen hier Denken und Handeln in Wirtschaft und Politik kritisch betrachtet werden.

„…der Zwang zur Gewinnmaximierung zerstört jede Solidarität und läßt ein Verantwortungsbewußtsein gar nicht erst aufkommen.“[2]

Marion Gräfin Dönhoff

Das hier im Fokus diskutierte Auftreten der vier großen Energieversorgungsunternehmen (EVUs), insbesondere von den Konzernen E.ON und RWE, ist nur beispielgebend. Andere Beispiele für Handlungen in der Wirtschaft sind Waffenlieferungen an Menschenrechte mißachtende Diktatoren, Geschäfte mit totalitären Systemen und ähnliches mehr. Angesichts dessen stellen sich dem empfindsamen und kritischen Geist ein paar Fragen: Erkennen die durch berufliche Position oder Vermögen, häufig auch durch beides zugleich, in herausgehobener Verantwortung stehenden Menschen, die Konzernvorstände wie zum Beispiel E.ON-Vorstand Dr. Johannes Teyssen, RWE-Vorstand Dr. Jürgen Großmann oder Dr. Josef Ackermann (Deutsche Bank AG) und „die Reichen“ wie zum Beispiel Susanne Klatten, Stefan Quandt[3] oder Karl Albrecht, um nur ein paar Namen zu nennen, eigentlich die Werte an, die sich in den universellen Menschenrechten spiegeln und die sich hier in Deutschland außerdem durch die Grundrechte auch in der bundesdeutschen Verfassung wiederfinden? Ist diesen Menschen eigentlich bewusst, dass die Mutter, die um ihr krebstotes Kind trauert, der arbeitslose 55jährige ohne Perspektiven, der ausgebeutete chinesische Wanderarbeiter oder die vom antropogen verursachten Meersspiegelanstieg bedrohten Menschen in Bangladesch bis aufs Haar Mensch sind wie sie selbst? Oder fehlt es diesen scheinbar ja besondere Verantwortung tragenden Menschen tatsächlich an jedweder Einfühlsamkeit – und dann auch den in ihrem Kielwasser mitfahrenden Opportunisten?

Grundrechte nur Floskeln, die auf dem Weg zur Macht wie das Glaubensbekenntnis in der Kirche eben runter gebetet werden müssen

Und wie sieht es mit den politisch Verantwortlichen aus? In Deutschland vorne weg Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Dr. Phillip Rösler, aber auch manch führendes Mitglied anderer Parteien – die alle häufig ja sogar einen Eid auf diese Werte geschworen haben! Haben diese Politikerinnen und Politiker eigentlich jemals über den Sinn, den Geist unserer Verfassung reflektiert? Erkennen sie diesen Sinn an oder sind die Grundrechte alles nur Floskeln, die auf dem Weg zur Macht wie das Glaubensbekenntnis in der Kirche eben runter gebetet werden müssen?

Oder fehlt es auch hier den besonders verantwortlichen Menschen gleichfalls an jedweder Einfühlsamkeit – und dann auch wieder den in ihrem Kielwasser mitfahrenden Opportunistinnen?

Und wir?

Und wir? Wir, die wir diesen Menschen in ihrem egoistischen Machtstreben zuarbeiten oder dieses Machtstreben häufig zumindest gleichgültig hinnehmen und häufig an den damit verbundenen (kurzfristigen) Vorteilen teilhaben – und die wir diese Machtmenschen nicht selten auch noch für ihren Egoismus bewundern. Erkennen wir diese Werte wirklich an? Werden wir uns eigentlich bewusst, welche Folgen all unsere Handlungen haben? Die Handlungen als Angestellte oder Unternehmer, als Wählerin oder Aktionär (wer profitiert denn kurzfristig? und wer entlastet denn den Vorstand?), als ebenfalls den besagten Eid schwörende Soldaten und Beamtinnen und nicht zuletzt als Konsumenten (wer kauft denn billigen Kaffee, billige Schokolade oder beim Billig-Discounter?)?

Oder fehlt es auch bei uns oft an der notwendigen Einfühlsamkeit, um verantwortungsbewusst handeln zu können?

Angesichts der Widersprüchlichkeit von Reden und Handeln zum Beispiel bei der Kürzung der Förderung von Erneuerbaren Energien (die schwarz-gelbe Regierung reklamiert doch tatsächlich öffentlich die Förderung der erneuerbaren Energien für sich, obwohl sie das Gegenteil tut!) oder von Rüstungsexporten nach Saudi Arabien (wie soll eine nach Freiheit strebende Araberin unserer Politik vertrauen, wenn ihre Freunde im nächsten Moment von deutschen Panzern überrollt werden?) drängen sich dann irgendwann weitere Fragen auf: Ist die Erklärung am Ende ganz einfach? Verderben Geld und Macht möglicherweise tatsächlich den Charakter? Oder ist Charakter ohnehin, wie Kant es bereits erklärt hatte, eine wohl eher seltene Eigenschaft, die sich ein Mensch, so er es denn irgendwann geschafft hat, nur in langem Bemühen selbst angeeignet haben kann[4] – durch Erziehung unterstützt oder behindert?

… dass alles Handeln sich eigentlich mindestens der Prüfung unterziehen sollte: schadet es einem Menschen oder nicht?

Die Antworten auf all die Fragen sind wohl nicht einfach zu finden und sie sind vor allem unbequem. Danach zu suchen lohnt sich dennoch! Denn die zugrunde liegenden menschlichen Werte begründen ein menschliches Zusammenleben und sie gründen vereinfacht ausgedrückt in einer zentralen Forderung: alles Handeln sollte den Menschen dienen, mindestens ihm aber nicht schaden. Und Menschen sind alle Wesen, die der biologischen Spezies Homo Sapiens angehören. Dies gilt für alle heute lebenden, aber auch für alle in der Zukunft lebenden Menschen. Diese Tatsache bringt es mit sich, dass alles Handeln sich eigentlich mindestens der Prüfung unterziehen sollte: schadet es einem Menschen oder nicht? Je stärker der Einfluss einer Handlung auf andere Menschen ist oder sein könnte, desto stärker sollte dies dann bei der tatsächlichen Umsetzung der Handlung auch Berücksichtigung finden. In letzter Konsequenz müssen dann auch getroffene Entscheidungen rückgängig gemacht werden, die sich als wirklich schädlich für Menschen herausstellen.

Verfassung ein Regelwerk für die Welt vor den Werkstoren und außerhalb der Wirtschaft

Um den Fokus jetzt wieder auf die Menschen an den eigentlichen Schalthebeln der Macht zu richten, folgt der erneute Blick auf den beispielgebenden aktuellen Atomausstieg: Vor den zuvor beschriebenen Verpflichtungen ist es menschlich gesehen nicht nachvollziehbar, dass Konzerne ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen über das Interesse aller Menschen zusammen (Gesellschaft, Staat, Menschheit) stellen. Und es mutet dann schon als eine Frechheit an, wenn es dabei auch noch um Leben und Gesundheit unzähliger Menschen geht. Interessant ist dann weiter, dass diese Konzerne, die großen deutschen Energieversorger, über Jahrzehnte diverse Vorteile und Zuwendungen der Gemeinschaft (Forschungsförderung für die AKWs, Entsorgungsrückstellungen (bis 2009 etwa 28 Mrd. Euro), Steuervorteile, …) angenommen haben und nicht zuletzt auf dieser Basis überhaupt nur die heutige Größe erreichen konnten. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ sagt Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Diese mit dem Grundrecht auf Eigentum verknüpfte Verpflichtung erscheint eigentlich leicht verständlich. Eine mögliche Erklärung für das unternehmerische Zuwiderhandeln findet sich dann aber in der in vielen Unternehmen allem Anschein nach vorherrschenden Denkungsart (wohlwollend soll dabei unterstellt werden, dass viele Menschen dieses Denken bis heute nicht reflektiert haben). Nach dieser Denkungsart ist die Verfassung ein Regelwerk für die Welt vor den Werkstoren und außerhalb der Wirtschaft. Die Wirtschaft und jeder Betrieb haben ihre eigenen Gesetze. Die Regeln des demokratischen Gemeinwesens werden – der Eindruck entsteht zumindest – von den in solchen Betrieben verantwortlichen Menschen nur mit Vorbehalt akzeptiert und allenfalls dort begrüßt, wo sie dem eigenen Vorteil dienen. – Dann die Interessen von 500.000 Kleinanlegern vorzuschieben ist nicht mehr als der Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen und die Wahrheit zu verdecken. Das große Geld verdienen nicht die Kleinaktionäre!

Wenn es zu meinem Vorteil ist, ist mein Wort von gestern so viel wert wie der Schnee von gestern

In dieser als Beispiel dienenden Geschichte (die Themen lassen sich austauschen: Ernährung, Gesundheit, Rüstung, Gentechnik, Trinkwasser, …) darf auch nicht aus den Augen verloren werden, dass diese Energie-Konzerne eigentlich den Atomausstieg bereits fest versprochen hatten. Im Jahr 2000 haben diese Konzerne mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft-Nutzung vereinbart (der Atomkonsens)[5]. Aber was interessiert mich, was ich gestern gesagt habe? Wenn es mir vorteilhaft erscheint, ist mein Wort von gestern so viel wert wie der Schnee von gestern. Auch das scheint Teil der Denkungsart zu sein, der verantwortliche Menschen in diesen (wie in anderen) Konzernen folgen – freundlich lächelnd aber, wie es scheint, treulos, borniert und unreflektiert. Kaum war die Verantwortungslosigkeit wieder auf die Regierungsbank gezogen, da wurde dieser „Konsens“ widerrufen – allein zu Gunsten der besagten Konzerne!

Wahrhaftigkeit ist für das Zusammenleben von Menschen fundamental. Denn nur im Vertrauen auf die Aussagen anderer Menschen ist ein gemeinsames verantwortliches Handeln möglich. Doch, wie es sich in der Guttenberg-Affäre gespiegelt hat, scheint dies nicht der Denkungsart einer einflussreichen Gruppe in unserer Gesellschaft zu entsprechen. Dass der Aufdeckung des Guttenberg-Plagiats weitere Plagiats-Aufdeckungen in den Reihen von CDU/CSU und FDP gefolgt sind, könnte zu denken geben.

Mit Blick auf Art. 14 des Grundgesetzes und die großen staatlichen Zuwendungen der vergangenen Jahrzehnte, nun noch eine Entschädigung zu fordern, mutet als geradezu unverschämt an oder ist Ausdruck eines totalen Realitätsverlusts[6]. – 1978 hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob die Genehmigung von kerntechnischen Anlagen gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG) verstößt. Damals stuften die Verfassungsrichter das Risiko der Atomkraftnutzung als rein hypothetisch ein (warum auch immer[7]). Diese unbekannten Restrisiken sind „als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen“. Doch bereits in seiner Begründung zum sogenannten Kalkar-Urteil räumt das Verfassungsgericht ein, dass künftige Erfahrungen ein nicht mehr akzeptables Risiko der Atomkraftnutzung realistisch erscheinen lassen können. Was dann zur Folge haben müsste, dass der Gesetzgeber die Atomkraftnutzung auf Grund von Artikel 2 Grundgesetz verbietet.[8] – Die Nutzung der Kernenergie findet spätestens seit 1978 also auf eigene Verantwortung statt. Niemand zwingt die EVUs zum Betrieb der AKWs (und darf sie auch nicht dazu zwingen). Allerspätestens nach Fukushima haben wir eine Realität, die die Gefahren auch bundesdeutscher Reaktoren aus dem Bereich des „Restrisikos“ herausheben – und somit deren weiteren Betrieb nicht mehr verantworten lassen![9]

dem Volk durch Privatisierungen zugunsten weniger Besitzender sein Eigentum nehmen

Andere Beispiele für diese Einflussnahme vom Kapital auf die Politik finden sich zu Hauf, so zum Beispiel das Projekt Stuttgart 21. Der (noch) im Staatsbesitz (also im Gemeineigentum!) befindliche Betrieb Deutsche Bahn AG, unter Leitung von Dr. Rüdiger Grube, versucht aus rein betriebswirtschaftlichen Beweggründen ein sozial wie ökologisch zweifelhaftes Projekt gegen die Interessen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger (also seiner Eigentümer!) kompromisslos (wie es sich gerade wieder zeigt) durchzusetzen. Sekundiert wird er dabei von Politikern und Politikerinnen, die seit Jahrzehnten dabei sind, dem Volk durch Privatisierungen zugunsten weniger Besitzender sein Eigentum zu nehmen.[10] Wenn dann jemand irgendwann an Raubritter denkt, ist das durchaus nachvollziehbar. Dieses Handeln findet sich an vielen Stellen wieder. Bei dem Umgang mit den Finanzproblemen Griechenlands wird dies sichtbar wie im deutschen Gesundheitssystem. Was ist das beispielsweise für eine Solidargemeinschaft, aus der sich die Menschen fortstehlen dürfen (private Krankenversicherung), die am leichtesten ihre Beiträge leisten könnten?

Verantwortung, die jeder Mensch für sein Handeln trägt und die jeder Mensch als Teil der Menschheit für das Handeln anderer Menschen trägt

Was sollte uns all das nun zu denken geben? Einmal mehr sind wir alle an unsere Verantwortung erinnert – Frau Klatten ebenso wie Herr Ackermann, die Polizistin ebenso wie der Bäcker von nebenan oder Vorstand und Bandarbeiter bei VW. Erinnert an die Verantwortung, die jeder Mensch für sein Handeln trägt – ob er das einsieht oder nicht! Und auch an die Verantwortung, die jeder Mensch als Teil der Menschheit für das Handeln anderer Menschen trägt! Hier in Deutschland haben Menschen die Erfahrung mit der unvermeidlichen Verantwortung stellvertretend für alle Menschen auf das Schrecklichste gemacht. – Welche Konsequenzen die Einsicht in die persönliche Verantwortung für das persönliche Handeln bedeuten, kann jeder Mensch nur für sich selbst entscheiden. Ausweichen kann dieser Entscheidung aber kein Mensch, denn auch keine Entscheidung ist faktisch eine Entscheidung.

„Menschlich müssen wir weitgehend Verantwortung auch für das übernehmen, was Menschen ohne unser Wissen und Zutun irgendwo in der Welt verbrochen haben; sonst gäbe es keine Einheit des Menschengeschlechts. Wir können es, weil uns gerade die spezifisch bösen Motive oder die spezifisch berechnete Zweckmäßigkeit der Handlung menschlich einsichtig ist.“[11]

Hannah Arendt

… und die geschilderten Handlungen geschehen mit unserem Wissen und Zutun – und mitunter auch zu unserem (kurzfristigen) persönlichen Vorteil!

Diskussion für die Entscheidungsfindung und Kompromiss als Entscheidung

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass jeder Mensch irgendwann zur Einsicht kommen kann – so auch die besondere Verantwortung tragenden Menschen in Konzernzentralen und politischen Ämtern. Die hier genannten Personen werden stellvertretend genannt für einen größeren Kreis von Menschen in solch besonders verantwortlichen Positionen. Alle tragen sie aber diese herausgehobene Verantwortung. Und die Politik der zugehörigen Konzerne oder politischen Parteien wirft Zweifel daran auf, ob die Entscheidungen dort wirklich verantwortungsbewusst getroffen werden. Konzerne stellen von ihrer Größe und von ihren betriebswirtschaftlichen Interessen her für eine demokratische Gesellschaft eigentlich eine enorme Belastung dar. Denn sie übergreifen von ihren Wirkungen und Einflüssen nicht selten ganze Staatsgebiete, Staatsgrenzen und auch Kontinente ohne jede demokratische Legitimation. Gegenwärtig sind solche Konzerne aber existent. Entsprechend wichtig ist es also, dass die dort in verantwortlicher Position arbeitenden Menschen sich besonders um die Beachtung menschlicher und demokratischer Werte und Normen verdient machen. Für viele Fragen (Themen) gibt es keine einfachen Antworten. Aber dafür hat die demokratische Gesellschaft die Diskussion für die Entscheidungsfindung und den möglichst alle Interessen berücksichtigenden Kompromiss als Entscheidung – alles immer mit den unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage.

Wolfenbüttel, im Sommer 2011

Quellen

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-05/Atomausstieg-Klage-Eon (Die Zeit Online vom 31.05.2011);

http://www.abendblatt.de/politik/article1928782/Energiekonzerne-fordern-Schadenersatz.html (Hamburger Abendblatt Online vom 19.06.2011);

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,771318,00.html (Der Spiegel Online vom 30.06.2011) und

http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2011-07/enbw-klage-brennelemente-steuer (Die Zeit Online vom 15.07.2011).

[2] Dönhoff, Marion Gräfin: Zivilisiert den Kapitalismus: Zwölf Thesen gegen die Maßlosigkeit. Mit einem Vorwort v. Helmut Schmidt. München: DVA, 2005, S. 21.

[3] Quandt, Stefan: Aktionismus als Stilmittel deutscher Politik, http://www.tagesspiegel.de/meinung/aktionismus-als-stilmittel-deutscher-politik/4324140.html (Der Tagesspiegel Online vom 26.06.2011); Herr Quant macht sich hier wenigstens die Mühe, den Atomausstieg kritisch zu betrachten, zieht aber nach meiner Auffassung die falschen, das Risiko ignorierenden Schlüsse. – Ein – auch kritischer – Blick in die Geschichte der Familie Quandt liefert der entsprechende Wikipedia-Eintrag (http://de.wikipedia.org/wiki/Quandt_%28Familie%29).

[4] Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Hrsg. u. eingel. V. Wolfgang Becker. M. e. Nachw. V. Hans Ebeling. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1983 [(1) 1798], S. 241 ff. [auch: http://www.korpora.org/Kant/aa07/291.html und folgende Seiten].

[5] Bundesumweltministerium: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/atomkonsens.pdf; und http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/atomkonsenskonsens_anlagen.pdf

[6] Vgl. Ekardt, Felix: Warum Atomenergie Grundrechte verletzt, http://m.lto.de/de/html/nachrichten/2877/streit_um_kernkraftwerke_warum_die_atomenergie_grundrechte_verletzt/ (Legal Tribun Online).

[7] Angesichts der verletzenden bis tödlichen Wirkung radioaktiver Strahlung, die auch 1978 bereits bekannt war, bleibt die Frage, warum das Bundesverfassungsgericht das Risiko seinerzeit als nur theoretisch eingestuft hat); vgl. z. B. May, John: Das Greenpeace-Handbuch des Atomzeitalters: Daten – Fakten – Katastrophen. A. d. Engl. v. Helmut Dierlamm u. Reiner Pfleiderer. Redaktionelle Betreuung Wolfram Ströle. München: Knaur, 1989; oder auch: http://www.freitag.de/community/blogs/aredlin/alle-6-jahre-ein-ernster-atomunfall-ein-akzeptables-restrisiko

[8] Vgl. http://www.bund.net/nc/bundnet/presse/pressemitteilungen/detail/zurueck/pressemitteilungen/artikel/roettgen-darf-debatte-um-akw-sicherheit-nicht-auf-technische-fragen-verengen-atomenergie-verstoesst/; sowie

http://openjur.de/u/166332.html;

http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=08.08.1978&Aktenzeichen=2%20BvL%208/77;

http://dejure.org/dienste/rechtsprechung/BVerfG/139.html

und der volle Wortlaut des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses

http://lexetius.com/1978,2 oder

http://www.ejura-examensexpress.de/online-kurs/entsch_show_neu.php?Alp=1&dok_id=1457 (hervorzuheben sind hier die letzten Absätze).

[9] Vgl. z. B. die zahlreichen kritischen Veröffentlichungen des IPPNW zur Atomkraftnutzung in Deutschland, u. a. auch in den hier veröffentlichten Presseinformationen des IPPNW.

[10] Wohin solche Privatisierungen führen, zeigen viele Beispiele von den Kommunen angefangen bis hin zum Beispiel der Deutschen Bahn. Auf unangenehme Weise besonders interessant ist das Beispiel der Wasserversorgung von London. Genauer ausgeführt wird dies von der Initiative „Wasser in Bürgerhand“ http://www.wasser-in-buergerhand.de/nachrichten/2006/rwe_thames_water.htm und auch in einem Beitrag in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Wasser_als_Handelsware).

[11] Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. Ungek. Taschenbuchausg. 11. Aufl. München: Piper, 2006 [(1) 1951], S. 946.

Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

I. Tapfer sterben für …

II. Der Finger in der Wunde

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

IV. Mehr Schein als Sein

V. Begründung einer Hoffnung

VI. Wer das Geld hat –

VII:.…

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Juli 24

Norwegen

Norwegen – Trauer, Mitgefühl, Gedanken, Fragen

Ein Versuch, der Sprachlosigkeit Worte zu geben

Trauer breitet sich aus, bei den Gedanken an die unfassbare Tragödie in Norwegen. Sprachlos wandern Gedanken und Gefühle zu den Menschen in diesem wunderschönen Land. Viel Kraft und viel Liebe ist den Überlebenden und den Angehörigen der Toten und der Verletzten zu wünschen, denn für sie hat nun eine schwere Zeit begonnen.

Fragen

Aus diesen mitfühlenden Gedanken erwachsen dann Fragen: Die Angehörigen fragen, warum? Warum mein Kind, mein Bruder, meine Mutter? Warum sie und nicht jemand anders? Was habe ich falsch gemacht? … Solche Fragen stellt sich jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat. – Und wir?, wir, die wir nicht so unmittelbar betroffen sind, wir fragen, warum sind Menschen zu so etwas fähig? Warum hat der Täter so gehandelt? Was hat diesen Menschen zu solchen das Leben und die Menschen vollkommen verachtenden Taten getrieben? Was hat ihn sich seiner Menschlichkeit völlig entledigen lassen? Was hat diesen Menschen so deformiert, dass ihn Verblendungen stärker leiten konnten als die jedem Menschen inne wohnende Menschenliebe? …

Antworten

Fragen über Fragen aber keine abschließenden Antworten lassen sich finden. Wir können uns einer Erklärung für eine solche Tat nur annähern, sie aber nie ganz finden. Wichtig ist aber, zu erkennen, dass nicht nur der Täter selbst vollkommen „versagt“ hat, sondern dass sich in solchen Momenten auch wir Mitmenschen fragen müssen, wo wir versagt haben? – Wo wir versagt haben nicht so sehr im konkreten Handeln, als vielmehr in der Gestaltung unseres Zusammenlebens?

Verantwortung

Denn, auch wenn jeder Mensch am Ende für seine Taten verantwortlich ist!, jeder Mensch ist auch ein „Produkt“ seiner Lebenswelt (Gesellschaft, Bekannte, Freunde, Familie). Welchen Anteil hat es, dass wir vieler Orten Gewalt versteckt oder offen als Lösungsweg akzeptieren?  Wie viel der Verantwortung liegt zum Beispiel in einer Gesellschaft, die in der Wirtschafts- und Finanzwelt aggressives und egoistisches Verhalten honoriert? Oder wird der Keim vielleicht schon gelegt, wenn sich im Streitfall ein Vater nicht auf die Ebene des Kindes begibt, um ihm Auge in Auge das Problem zu erklären, sondern lieber von oben herab Befehle erteilt? …

Schweigen

Einmal angestoßen reiht sich Frage an Frage, folgt Erklärungsversuch auf Erklärungsversuch. Und irgendwann sind wir dann wieder bei den trauernden Menschen – und – schweigen.

Nachgedanken

Wie auch immer wir uns diese Tragödie erklären. Gesetze, die unsere demokratischen Freiheiten weiter einschränken, wären die falsche Antwort. Sie würden nur den menschenverachtenden Blendern zuarbeiten, die solchen Tätern die Begründungen liefern. Wichtiger ist es vielmehr, dass wir unser Zusammenleben stetig zunehmend freier und menschlicher gestalten. Der norwegische Ministerpräsident hat es so zum Ausdruck gebracht:

„Keiner wird uns zum Schweigen bomben. Keiner wird uns zum Schweigen schießen. Ihr werdet uns nicht zerstören. Ihr werdet unsere Demokratie oder unsere Idee einer besseren Welt nicht zerstören. Wir werden die Schuldigen finden und zur Verantwortung ziehen. Am Ende wird es mehr Offenheit und Demokratie in unserem Land geben.“

Jens Stoltenberg nach den beiden Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya (zitiert nach einem Beitrag der SPD).

Und bei all der Bestürzung und Betroffenheit, die uns angesichts der unfassbaren Tragödie in Norwegen überkommt, dürfen wir aber nicht vergessen: auch anderswo in der Welt leiden und sterben Menschen in Folge menschenverachtender Handlungen. In den Kriegs- und Krisengebieten der Welt ist dies Alltag! Auch die Menschen dort fragen warum? Auch sie brauchen unser Mitgefühl! Auch hier stehen wir mit in der Verantwortung!

Rainer Elsner, Wolfenbüttel, 24. Juli 2011

Lesenswerte Beiträge im Netz

  • Eine Diskussion in Richtung der gesellschaftlichen Verantwortung hat zum Beispiel der Spiegelfechter in seinem Blog mit einem kurzen Beitrag angestoßen.
  • Der NPD-Blog dokumentiert, was in der deutschen Neonaziszene zu Norwegen diskutiert wird. Die dort zitierten Beiträge sprechen für sich.
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Juli 20

#1 Ratingagenturen

Ratingagenturen!?

Denk-Anstoß #1 – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

Wolfenbüttel, 14.07.2011. Ratingagenturen!? Was sind Ratingagenturen? Ist es aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sinnvoll, wenn private, gewinnorientierte Unternehmen über die Kreditwürdigkeit von Staaten (!) entscheiden? Ich denke, eine freie und demokratische Gesellschaft darf dies nicht zulassen!

Staatliche Form und demokratische Legitimation

Staaten sind die Zusammenschlüsse aller jeweils darin lebenden Menschen. Zunächst können und dürfen nur diese Menschen zusammen über ihr Gemeinwesen bestimmen. In der heutigen Realität haben sich die meisten Staaten in Vereinigungen wie der Europäischen Union (EU) oder der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) zusammengeschlossen. Solche und andere grenzüberschreitenden Zusammenhänge bedingen entsprechende Einflussmöglichkeiten. Aber auch diese dürfen nur in staatlicher Form und mit demokratischer Legitimation erfolgen!

Ratingagenturen haben im Zweifel rein wirtschaftliche Motive im Sinn

Im konkreten Fall sind diese Ratingagenturen gerade dabei, Griechenland wirtschaftlich zu „vernichten“. Während die europäischen Staaten neben wohl mehr wirtschaftszentrierten Motiven auch noch ein Interesse daran haben, ihrem Partnerland Griechenland zu helfen, haben Ratingagenturen im Zweifel rein wirtschaftliche Motive im Sinn – die sich nicht zwingend mit denen der gesamten Gesellschaft decken. Von dieser Kritik unberührt bleibt die offensichtliche Notwendigkeit, dass Griechenland wohl sein gesamtes Wirtschafts- und Finanzsystem prüfen und ordnen muss. Wenn dem Staat mehrere Milliarden Euro Steuern fehlen, haben wohl sowohl die staatlichen Institutionen wie auch die säumigen Steuerzahler den Sinn von Steuern nicht begriffen.

vielleicht steckt hinter dem ganzen Vorgang ja auch ein System

Aber vielleicht steckt hinter dem ganzen Vorgang ja auch ein Stück weit ein System. Denn, wer sich an eine Rede des damaligen FDP-Vorsitzenden Westerwelle vor eineinhalb Jahren erinnert, weiß, dass Steuern gerade von so manch Wohlhabenden (nicht allen!) als lästig angesehen werden. Diese Menschen scheinen alles als ihr – mindestens potentielles – Eigentum anzusehen. Entsprechend bestimmt ihr Vermögen über den Lauf der Dinge und nicht ein demokratisch verfasster und von Steuern finanzierter (!) Staat. Ein Staat, den sich diese Menschen dann ja auch mit Hilfe der zunehmenden Privatisierung von Gemeineigentum schleichend aneignen. – Und hierzu passen dann auch die Besitzverhältnisse und die Arbeitsweise der Ratingagenturen, wie sie ein sehr lesenwerter Artikel in den NachDenkSeiten beschreibt.

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Mai 23

V. Begründung einer Hoffnung

Begründung einer Hoffnung

Oder

Warum wir heute in Deutschland einen 62. Jahrestag feiern sollten

Gedanken zum Zeitgeist V – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

62 Jahre? Warum soll ich heute feiern? Wer wird heute 62 Jahre alt? Nicht wenige, auch gebildete Menschen in Deutschland werden heute möglicherweise diese Frage stellen. Es sei denn, sie haben sich in der Nähe öffentlicher Gebäude schon gefragt, warum diese beflaggt sind. Andere Menschen aber wissen zum Glück auch sofort, warum heute die Flaggen am Mast gehisst wurden, was sie heute feiern können – und dürfen! Das „dürfen“ gehört dazu, denn es ist nicht selbstverständlich. Ein Blick in die Welt und in die (deutsche) Geschichte – auch die Geschichte dieser 62 Jahre – zeigt, dass das „dürfen“ nicht sicher ist. Was wir heute feiern können und dürfen und warum das trotz aller Fehlentwicklungen und Enttäuschungen eine Hoffnung begründen kann, darum soll es in den folgenden Denkanstößen gehen. Damit wollen diese fünften Gedanken zum Zeitgeist hier im Ostfalen-Spiegel den Zeitgeist diesmal zugleich mehr von der positiven Seite her beleuchten – wenn auch wieder auf nicht unbedingt ausgetretenen Pfaden.

„Ihr folget falscher Spur,
Denkt nicht wir scherzen!
Ist nicht der Kern der Natur
Menschen im Herzen?“[1]

Johann Wolfgang von Goethe

Am 23. Mai 1949 verkündete in den drei westlichen Besatzungszonen der (ein Dreivierteljahr zuvor eingerichtete) Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Dieses verfassungsgleiche Grundgesetz, faktisch seitdem die bundesdeutsche Verfassung, ist die wohl freieste und menschenfreundlichste Verfassung, die ein deutscher Staat jemals hatte. Und trotz aller Angriffe und „Verwässerungen“ ist das noch immer der Fall. Die Bundesrepublik Deutschland hat es mit 62 Jahren auch geschafft, länger zu bestehen als jeder andere länderübergreifende deutsche Staat – und das eben mit einer demokratischen Verfassung. Und diese Verfassung ist der Grund zum Feiern! Eine Verfassung, die in Menschenliebe gründend sich unumstößlich der Würde des Menschen und den universalen Menschenrechten verpflichtet hat! Alle Menschen besitzen den gleichen Wert, alle Menschen haben das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, die Todesstrafe ist abgeschafft, Eigentum verpflichtet … – es sind hohe Ideale, die diese Verfassung widerspiegelt!

Menschen, die dem guten Klang dieses Wortes auch Wahrhaftigkeit verleihen

Ein Blick in die Welt zeigt: Eine Vielzahl von Staaten wird noch immer despotisch regierten. Viele Menschen müssen unter menschenverachtenden Bedingungen leben und haben keinerlei gesetzlichen Anspruch auf Achtung ihrer Würde und ihrer Freiheit. Es kann also durchaus als Privileg angesehen werden, auf der Basis einer Verfassung wie dem Grundgesetz leben zu können und zu dürfen. Dies ist aber keine Gnade, sondern ein Vermächtnis. Und aus diesem Vermächtnis ergeben sich eine Verantwortung und eine Pflicht. Denn eine noch so gute Verfassung ist zunächst nur eine Ansammlung guter Worte. Seinen tatsächlichen Wert erhält jedes gute Wort erst mit Menschen, die dem guten Klang dieses Wortes auch Wahrhaftigkeit verleihen. Mit dem Leben im Schutz dieser Verfassung haben wir also zugleich die Verantwortung für diese Verfassung übertragen bekommen. Und aus dieser Verantwortung resultiert die Pflicht, diese Verfassung unsererseits zu schützen!

„Demnach muß ein jedes vernünftige Wesen so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reiche der Zwecke wäre. Das formale Prinzip dieser Maximen ist: handele so, als ob deine Maxime zugleich zum allgemeinen Gesetz (aller vernünftigen Wesen) dienen sollte.“[2]

Immanuel Kant

Die Demonstration zu Stuttgart 21 im Spätsommer 2010 beispielsweise oder die momentan stattfindenden unzähligen Proteste gegen die weitere Nutzung der Atomkraft wie auch die kritische Haltung[3] zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zeigen, dass sich viele Menschen hier in Deutschland durchaus der genannten Verantwortung und Pflicht bewusst sind. Der zugleich mancherorts anzutreffende teilnahmslos erscheinende Umgang mit dem Leid anderer Menschen, das erstaunlich starke Interesse für die königliche Hochzeit in England oder die (diesem Interesse wohl nahestehende) immer noch anzutreffende Bewunderung für die strahlend aber leer erscheinende Schönheit der Guttenbergs zeigen beispielhaft freilich auch, dass sicher viele Menschen dieses Verantwortungsbewusstsein noch nicht erlangt haben.

„Den »Ohne mich«-Typen ist eines der absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhanden gekommen: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement.“[4]

Stéphan Hessel

ein besonderes Zeichen der Hoffnung schenken uns gerade die Menschen in Spanien

Ein Blick ins befreundete Europa und sogar in die durchaus mitunter sehr finster erscheinende Welt findet dann aber wieder Zeichen der Hoffnung: Die nach Freiheit strebenden Menschen in Ägypten, die eine despotische Regierung ohne Waffengewalt stürzen (wenn auch nicht gänzlich gewaltfrei wie 1989 in der DDR) sind ein solches Zeichen – dabei hatten wir hier im „arroganten“ Westen doch geglaubt, diese Menschen wären alle potentielle islamische Fundamentalisten! Und ein besonderes Zeichen der Hoffnung schenken uns gerade die Menschen in Spanien, die auf die Straße gehen, weil sie nicht mehr bereit sind, ihre Freiheit und ihre Zukunft den Interessen einer fragwürdigen Elite, bestehend aus „Grauen Eminenzen“, Managerinnen und Managern von Banken und Konzernen und willfährigen Politikern und Politikerinnen, zu opfern.

„Die Menschen werden nicht dadurch gerecht, daß sie wissen, was gerecht ist, sondern indem sie die Gerechtigkeit lieben.“[5]

Hannah Arendt

Zurück in Deutschland können wir auch mit einem Blick in die Geschichte Zeichen der Hoffnung finden: Die Geschwister Scholl und ihre Verbündeten, die nach dem Erkennen der Unmenschlichkeit schlussendlich ihr Leben gaben für das Ideal der Menschlichkeit. Die „Mütter und Väter“ des Grundgesetzes eben, die mit der gerade gemachten Erfahrung des ultimativ Unmenschlichen eine unumstößlich der Menschlichkeit verpflichtete Verfassung schrieben. Franzosen und Deutsche, die nach fast einem Jahrhundert blutiger Feindschaft echte Freunde geworden sind.

Es gibt eben auch immer wieder diese Zeichen der Hoffnung

Wenn auch nichts auf alle Zeit sicher ist und nichts Positives ohne stetes Bemühen auf alle Zeit Bestand hat. Es gibt eben auch immer wieder diese Zeichen der Hoffnung! Und diese Zeichen schenken die Hoffnung, dass es sich doch noch zum Positiven kehrt. Diese Zeichen lassen hoffen, dass sich auch Menschen wie Herr Guttenberg (um an die vorhergehenden Gedanken zum Zeitgeist anzuknüpfen) besinnen können und nicht mehr eine Welt des schönen Scheins pflegen, sondern sich tatsächlich ihrer menschlichen Verantwortung verpflichten. Diese Zeichen lassen hoffen, dass immer weniger Menschen dem bequem erscheinenden Egoismus folgen, sondern sich ebenfalls besinnen. Wenn wir die Menschen lieben, müssen wir gemeinsam unerschütterlich und mitunter schonungslos hin zum Wertpositiven streben. Nicht durch jederzeit hartes Bekämpfen aber werde ich menschlich, sondern durch die Fähigkeit, im Zweifel auch meinem Herzen und nicht meinem Ego folgen zu können. Oder, wie es Karl Jaspers formuliert hat:

„Wir sind sterblich als bloßes Dasein, unsterblich, wo wir zeitlich erscheinen, als das, was ewig ist. Wir sind sterblich als Lieblose, unsterblich als Liebende. Wir sind sterblich in der Unentschiedenheit, unsterblich im Entschluß. Wir sind sterblich als Naturgeschehen, unsterblich, wo wir uns in unserer Freiheit geschenkt werden.“[6]

Die Verkündung unseres Grundgesetzes vor 62 Jahren wie auch dessen in seinen Fundamenten unveränderter Bestand geben also Anlass zur Hoffnung. Jedoch der fortwährende Erhalt dieser Verfassung ist nur gesichert, wenn jede Bürgerin und jeder Bürger deren Sinn und Bedeutung jederzeit in seinem Bewusstsein hält und für diesen Erhalt eintritt[7]. Wir dürfen heute also unsere Verfassung feiern! Vielleicht würde der 23. Mai als nationaler Feiertag dem Erlangen des notwendigen Verantwortungsbewusstseins ebenso dienen, wie dies der 3. Oktober kann. Feiern wir am 3. Oktober die Wiedervereinigung beider deutschen Nachkriegsstaaten und somit vor allem den Mut der friedlich demonstrierenden Menschen in der DDR von 1989. So können wir heute, am 23. Mai, die Besinnung der Menschen in der sich gründenden Bundesrepublik von 1949 auf Menschenliebe, Menschenwürde, Menschenrechte, Demokratie und Freiheit feiern!

Weg der Zivilisation über den Abgründen der Barbarei wohl immer eine Gradwanderung

Diese Besinnung auf Frieden und Menschlichkeit ist notwendig, da der Weg der Zivilisation über den Abgründen der Barbarei wohl immer eine Gradwanderung bleiben wird. Wer nun angesichts der Schrecken der Welt und düsterer Zukunftsprognosen von Angst und Verzweiflung geplagt wird, vernehme noch einmal Karl Jaspers:

„Auf echte Weise hat Mut, wer aus Angst im Erfühlen des Möglichen zugreift in dem Wissen: nur wer Unmögliches will, kann das Mögliche erreichen. Die Erfahrung der Unerfüllbarkeit in dem Versuchen der Erfüllung kann allein verwirklichen, was dem Menschen aufgegeben ist zu tun.“[8]

Wolfenbüttel, den 23. Mai 2011

Quellen

[1] Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. V. Erich Trunz. Band I. Gedichte und Epen I. Textkritisch durchgesehen u. kommentiert v. Erich Trunz. 14., durchges. Aufl. München: Verlag C. H. Beck, 1989 [(1) 1948], S. 306.

[2] Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hrsg. Von Theodor Valentiner. Stuttgart: Reclam, 1991 [(1) 1785], S. 92 f. (Hervorhebung im Original).

[3] Heinz, Wolfgang S.: Zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr in der Terrorismusbekämpfung. Analysen und Empfehlungen aus der Sicht des internationalen Menschenrechtsschutzes

[4] Hessel, Stéphane: Empört euch! 8. Aufl. Berlin: Ullstein, 2011 [(1) 2010], S.13.

[5] Arendt, Hannah: Vom Leben des Geistes: Das Denken: Das Wollen. Hrsg. V. Mary McCarthy. A. d. Amerik. V. Hermann Vetter. Ungek. Taschenbuchausg. 2. Aufl. München: Piper, 2002 [(1) 1971], S. 337 f.

[6] Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens. Ungek. Taschenbuchausg. München: Piper, 1997 [(1) 1965], S. 165 f.

[7] Vgl. auch Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG)

[8] Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit: von Prof. Dr. Karl Jaspers. 9. Abdr. der im Sommer 1932 bearb. 5. Aufl. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1999 [(1) 1932], S. 135.

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Gedanken zum Zeitgeist

In den Gedanken zum Zeitgeist erscheinen in loser Folge kritische Kommentare zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland und der Welt. Die einzelnen Gedanken zum Zeitgeist fokusieren in der Regel ein Thema und setzen auch unterschiedliche Schwerpunkte.  Grundsätzliche Standpunkte wie auch der philosophische Unterbau werden dabei nicht jedes Mal neu dargelegt. Für ein besseres Verständnis der Basis der geäußerten Kritik ist es also sinnvoll, nach und nach alle Gedanken zum Zeitgeist zu lesen und auch die Seite Ostfalen-Spiegel.

I. Tapfer sterben für …

II. Der Finger in der Wunde

III. Die Demokratie lebt vom Diskurs

IV. Mehr Schein als Sein

V. Begründung einer Hoffnung

VI. Wer das Geld hat –

VII:.…