August 22

Widerstand gegen eine Energie ohne Zukunft

Widerstand gegen eine Energie ohne Zukunft

Der „Energiepolitische Appell“ deutscher Spitzenmanager bewirkt möglicherweise das Gegenteil von dem, was bezweckt war. Der Widerstand gegen das Vorhaben, die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke zu verlängern, wächst – bei mündigen Bürgern wie auch in den Reihen der Regierungskoalition.

Salzgitter/Berlin, 22.08.2010. (re) Wirtschaftsmacht gegen Volkswillen, so könnte die derzeitige Debatte über die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke (AKWs) überschrieben werden. Vor zehn Jahren haben die deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) – vornehmlich die vier großen Konzerne – eine Vereinbarung mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung unterschrieben, in welchem der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie festgeschrieben und in Folge dessen 2002 ins Atomgesetz übernommen wurde. Mit den geänderten Mehrheitsverhältnissen in Berlin kam umgehend der Wunsch auf, aus dieser gesetzlichen Regelung wieder auszusteigen. Der vorläufige Höhepunkt ist nun der „Energiepolitische Appell“ führender deutscher Manager aber auch anderer bekannter Personen. In diesem Appell wird für die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen AKWs geworben. Unterzeichner sind neben Managern aus den vier großen deutschen Stromkonzernen zum Beispiel auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Josef Ackermann, der Manager der Deutschen Fußballnationalmannschaft Oliver Bierhoff und der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Clement sowie der Aufsichtsratsvorsitzende der Salzgitter AG Rainer Thieme.

Auf der anderen Seite formiert sich ein immer stärker werdender Widerstand gegen den weiteren Betrieb von Atomkraftwerken. Wie bereits berichtet, ist für den 18. September eine Großdemonstration gegen die weitere Nutzung der Atomenergie geplant. Damit soll einmal mehr der Mehrheitswillen des deutschen Volkes vor dem Reichstag zum Ausdruck gebracht werden. Und auch im Regierungslager wächst der Widerstand. Wie Spiegel-Online und Die Zeit berichten, wird der Appell aus der Wirtschaft von Mitgliedern der Regierungskoalition mit sachlich unterschiedlichen Schwerpunkten zum Teil scharf verurteilt.

Gegen-Kampagne „Energie ohne Zukunft“

Der Ärger über diese kapitalkräftige Kampagne der Industrie bringt auch bisher nicht engagierte Bürgerinnen und Bürger zum Handeln. Wie der Pressedienst der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad mitteilt, wurde an diesem Wochenende die Gegen-Kampagne „Energie ohne Zukunft“ ins Leben gerufen. Niklas Sum und Philipp Schächtle, die keiner Partei oder Umweltorganisation angehören, haben diese Online-Kampagne binnen kürzester Zeit ins Leben gerufen. Der studierte Betriebswirt Niklas Sum (24), der in einem sozialen Internet-Start-Up in Berlin arbeitet, zeigt sich überzeugt, dass seine Website mehr Unterstützer findet als die von der Agentur „Jung von Matt“ geplante Kampagne: „Die Argumente sprechen gegen Atom- und Kernenergie. Die Menschen sind nicht bereit der Lobbyarbeit der Atomindustrie weiter Glauben zu schenken.“

Leichterer Zugang zur Atombombe

Die Nutzung der Atomenergie war von Anbeginn mit Gefahren und zweifelhaften Begehrlichkeiten verbunden. Sowohl Marie Curie als auch ihre ebenfalls mit radioaktivem Material forschende Tochter Irène Joliot-Curie sind vermutlich an den Folgen des Umgangs mit radioaktiven Elementen gestorben. Forscher im Manhatten-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe haben sich verstrahlt und sind bald danach daran verstorben. Hunderttausende Tote haben 1945 die Atombombenabwürfe auf Japan gefordert. Und an den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl 1986 sind unzählige Menschen gestorben. Trotz solcher Erfahrungen wird von Politik und Wirtschaft in vielen Ländern unverändert an dieser Technik festgehalten. Ein wichtiger Grund, Atomkraftwerke zu betreiben, scheint denn auch immer der leichtere Zugang zur Atombombe zu sein. Wegen des politischen Interesses waren Regierungen auch immer wieder an der Einführung dieser Technik beteiligt. In Frankreich ist der Energieversorger EDF staatlich (wenn auch seit 2004 als Aktiengesellschaft), in Deutschland wurde der Bau von Atomkraftwerken in den 1970er Jahren mit Forschungsgeldern subventioniert und warum der Iran so vehement an dem Bau seines ersten Atomkraftwerkes festgehalten hat, bleibt auch zu fragen. Für die großen deutschen Energieversorger ist diese Technik zusammen mit den steuerfreien Entsorgungsrückstellungen mittlerweile eine Art „Lizenz zum Gelddrucken“.

Keineswegs taugliche „Brückentechnologie“

Auch die als besonders sicher dargestellten deutschen Atomkraftwerke bergen das „Restrisiko“ eines Unglücks (GAU) mit massiver Freisetzung radioaktiver Strahlung. Dieses Risiko steigt mit jedem Betriebsjahr, in dem die Strahlung und andere Alterungsprozesse die Anlagen verschleißen lassen. Der Betrieb der Atomkraftwerke, die möglichst ohne Lastwechsel gefahren werden müssen, steht zudem einer verantwortungsbewussten, zukunftsorientierten Energiewende im Weg und ist keineswegs eine dafür taugliche „Brückentechnologie“. Und die Belastung für Mensch und Umwelt beginnt bereits beim Uranbergbau. Ungeachtet dessen ist die Frage der sicheren Entsorgung der über Jahrtausende strahlenden Abfälle ohnehin unverändert ungeklärt und kann wahrscheinlich auch niemals abschließend geklärt werden. Alles Gründe, die verantwortungsbewusst denkende und handelnde Menschen den Ausstieg aus dieser Technik fordern lässt.

Literaturauswahl zu den verschiedenen Aspekten der Atomenergienutzung:

Fischer, Bernhard; Lothar Hahn, Christian Küppers u. a.:

Der Atommüll-Report: „Entsorgung“, Wiederaufarbeitung, Lagerung: Das offene Ende der Atomwirtschaft. Eine Publikation des Öko-Instituts. München: Knaur, 1991.

Jungk, Robert:

Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit. Mit einem Vorwort von Mathias Grefrath. München: Heyne, 1991.

May, John:

Das Greenpeace-Handbuch des Atomzeitalters: Daten – Fakten – Katastrophen. A. d. Engl. V. Helmut Dierlamm u. Reiner Pfleiderer. Redaktionelle Betreuuung Wolfram Ströle. München: Knaur, 1989.

Paul, Reimar:

Das Wismut Erbe. Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 1991.


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Veröffentlicht22. August 2010 von Schriftleiter in Kategorie "Atomkraft", "Politik und Gesellschaft", "Wirtschaft

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