Januar 16

Vordemokratisch

Vordemokratisch

Kommentar zur Artikelserie „Vor 90 Jahren – Erste Demokratie“ im Februar 2009 in der Braunschweiger Zeitung

Von Rainer Elsner

In dem mehrteiligen Bericht „Vor 90 Jahren – Erste Demokratie“ wird die Situation in Braunschweig zu Beginn der Weimarer Republik sehr einseitig beschrieben. Politisch links angesiedelte Kräfte werden als Feinde der Demokratie dargestellt, Fürsten und politisch extrem rechts stehende Kräfte aber als Retter der Demokratie gefeiert. Eine solch verzerrte Darstellung der Wirklichkeit sollte eine demokratische Presse eigentlich vermeiden.

Auseinandersetzung mit Geschichte hilft, Fehler zu vermeiden

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist für die Bewältigung der Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft überaus wichtig. Die Überlieferung von Erfahrungen und Erlebnissen über die Generationen hinweg ist notwendig, um Entwicklungen und Ereignisse zu verstehen. Das Studium der Taten vorangegangener Generationen und ihrer Folgen kann helfen, richtige Entscheidungen zu fällen und Fehler zu vermeiden. In unserer Demokratie fällt unter anderem der Presse die Aufgabe zu, politisch wichtige Informationen allen Menschen zugänglich zu machen. Aus diesem Grund sind Presseberichte über die Fakten historisch bedeutender Momente sehr wichtig.

Die Artikelserie „Vor 90 Jahren – Erste Demokratie“ zu den politischen Auseinandersetzungen in Braunschweig zu Beginn der Weimarer Republik hat versucht, dieser Aufgabe nachzukommen. Die mitunter sehr konservativen Blickwinkel und Situationsbeschreibungen trüben das Ganze dann aber leider. Während die gerade überwundene Monarchie (die einen bestialischen Krieg zu verantworten hatte) in sehr freundlichen Worten angesprochen wird, werden die sozialistischen Kriegsgegner mit polemischen Spitzen diskreditiert und wichtige Informationen werden verschwiegen. Mehrfach wird zwar die Gefahr für die junge Demokratie betont und dann weiter von der Rettung dieser Demokratie geschrieben. Bei den beschriebenen Gefahren für diese junge Demokratie findet dann aber ein bedeutender Teil einfach keine Erwähnung. Und mehr noch, es werden dann Personen und Gruppen positiv erwähnt oder als Retter der Demokratie dargestellt, die tatsächlich wenig oder kein Interesse an der jungen Demokratie hatten. Und über diesen wichtigen Hintergrund wird an keiner Stelle aufgeklärt. Warum?

Vordemokratischer Begriff „Landesvater“

So wurde beispielsweise vom Braunschweiger Regenten Herzog Ernst August berichtet, er habe den Fehler gemacht, frühzeitig abzudanken. In diesem Zusammenhang wird der Herzog verklärend mit dem vordemokratischen Begriff „Landesvater“ bezeichnet. Gerade an dieser historisch bedeutenden Nahtstelle zwischen Monarchie und Demokratie in Deutschland ist es aber wichtig, alle Parteien und ihre jeweiligen Interessen und Standpunkte im Bezug auf die junge Demokratie klar zu benennen. Und da muss dann darauf hingewiesen werden, dass der Adel (also auch der Herzog) keine demokratische Legitimation für seinen Herrschaftsanspruch hatte und auch kein Interesse an einer Demokratie. Die eigentlichen Feinde der Demokratie finden sich also hier. Diese historisch wichtigen Fakten fehlen aber.

Als einziger Feind der Demokratie wird die von den Sozialisten ausgerufene Räterepublik beschrieben – obwohl sie dies für sich gesehen zunächst nicht zwingend ist (auch wenn dies im Wissen um die damaligen und späteren Entwicklungen in der Sowjetunion heute sicher anders bewertet werden muss).

Totengräber der Weimarer Republik als Retter gefeiert

Und es kommt noch schlimmer! Die späteren Totengräber der Weimarer Republik und ihrer Demokratie, die Freikorps, werden als Retter der Demokratie gefeiert. Diese sind dem Befehl der Reichsregierung aber tatsächlich meist aus ganz anderen Beweggründen gefolgt. Das wird bereits wenige Tage später offenbar, als eben diese Soldaten die für Freiheit und Demokratie bedeutende Persönlichkeit und erklärte Kriegsgegnerin Rosa Luxemburg ermorden.

Die Demokratie und Menschenleben verachtenden Soldaten und Offiziere dieses Freikorps, der „Garde-Kavallerie-Schützen-Division“, waren 1920 dann auch am Kapp-Lüttwitz-Putsch (kurz Kapp-Putsch) beteiligt, einem ersten Versuch reaktionärer Kräfte, die junge Demokratie zu stürzen. Auch der im Artikel genannte General Maercker spielte bei diesem Putsch eine undurchsichtige Rolle und wurde deshalb aus dem Militärdienst entlassen.

Mord an Walther Rathenau

Und der Mord am amtierenden Reichsaußenminister Walther Rathenau (DDP) am 24. Juni 1922 geht gleichfalls auf das Konto dieser Freikorpssoldaten – in diesem Fall der ehemaligen Marine-Brigade Ehrhardt, die 1919 mit Maercker in Braunschweig einmarschierte. Nicht wenige spätere SS-Führer und hitlertreue Wehrmachts-Offiziere waren Angehörige dieser Freikorps.

Für das Verständnis der Zusammenhänge gerade auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung der ersten deutschen Demokratie und ihren Niedergang sind all diese Hinweise unerlässlich. Vor dem aktuellen Hintergrund des Erstarkens rechtsextremer menschen- und demokratiefeindlicher Gruppen erscheinen sie sogar zwingend notwendig!

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Quellen:

Bildungswerk Brandenburg:

http://www.bildungswerk-jks.de/Meine_Bilder_und_Dateien/2005.05A%20-%20Heydrich.pdf. 04.03.2009.

Bracher, Karl Dietrich, Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.):

Die Weimarer Republik 1918 – 1933: Politik – Wirtschaft – Gesellschaft. Schriftenreihe Band 251. Studien zur Zeitgeschichte. 2., durchges. Aufl. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1988.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang:

Der Zusammenbruch der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik. In: Bracher, Karl Dietrich u. a.: Die Weimarer Republik. 2. Aufl. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1988.

Rosenberg, Arthur:

Entstehung der Weimarer Republik. Hrsg. u. eingel. v. Kurt Kersten. 16. unveränd. Aufl. Frankfurt a. M: Europäische Verlagsanstalt, 1974.

Wette, Wolfram:

Militarismus in Deutschland: Geschichte einer kriegerischen Kultur. Lizenzausg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008.

Wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Garde-Kavallerie-Sch%C3%BCtzen-Division 03.03.2009.

—: http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Ludwig_Rudolf_Maercker 03.03.2009.

—: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht 03.03.2009.

—: http://de.wikipedia.org/wiki/Marine-Brigade_Ehrhardt 03.03.09.

—: http://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Luxemburg 03.03.2009.

Zeitverlag (Hrsg.):

Die Zeit: Welt- und Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden. Band 13: Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit. Hamburg: Zeitverlag, 2006.


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Veröffentlicht16. Januar 2010 von Schriftleiter in Kategorie "Braunschweig", "Geschichte", "Kommentare", "Tageszeitungen