März 18

Technik – Was ist wesentlich?

Was ist wesentlich?

Atomkraft – Über die Nutzung einer unbeherrschbaren Technik

Kommentar – im Ostfalen-Spiegel

Von Rainer Elsner

In Japan hat ein Erdbeben für die starke Beschädigung eines Atomkraftwerkes gesorgt. Dieser Schaden ist dabei, in eine Katastrophe ähnlichen Ausmaßes zu münden, wie dies bei der Havarie des Atomkraftwerkes in Tschernobyl 1986 der Fall war und wozu es bereits einige Jahre zuvor, 1979, in dem Kernkraftwerk[1] Three Mile Island bei Harrisburg in den USA beinahe gekommen wäre. Vor dem Hintergrund der Gefahren für Leib und Leben von unzähligen Menschen stellt sich die Frage: Was ist wesentlich?

Zunächst muss die weltweit in großem Umfang erfolgende bedenkenlose Nutzung einer im Zweifel nicht beherrschbaren Technik wie der Kernenergie[1] kritisch betrachtet werden. Dies sind wir auch den nun durch das Erdbeben leidenden Menschen in Japan schuldig, denn sie sind durch diese Technik einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt. Es stellt sich dann die Frage, warum wir Menschen eine gefährliche Technik wie die Atomenergie seit Jahrzehnten relativ sorglos einsetzen. Umso mehr stellt sich diese Frage, da sich die Risiken nicht in der Möglichkeit einer nuklearen Katastrophe erschöpfen und die Atomkraft auch nicht die einzige unbeherrschbare Risikotechnik ist.

Unbeherrschbares Erbe

Denn wenn bei strahlenden Abfällen durch die Halbwertszeit der radioaktiven Elemente zumindest theoretisch noch ein Ende des Problems gesehen werden kann, so ist dies bei einer anderen von uns angewandten Technik schlicht nicht möglich. Wir überlassen unseren Kindern und Kindeskindern also ein gewaltiges unbeherrschbares Erbe.

Was in der Auseinandersetzung um die Atomkraft bisher wenig beachtet wird, ist die Gentechnik. Dies geschieht wohl auch aus dem verbreiteten Hang zum einfachen Denken. Mit der Gentechnik, vor allem der sorglosen Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, haben wir aber eine nach der Atomkraftnutzung weitere Stufe verantwortungsloser technischer Bearbeitung unserer Lebenswelt betreten! Einmal in die freie Natur entlassen kann niemand (!) vorhersagen, was diesem massiven Eingriff in die – eigenen Gesetzen folgende – Natur nachkommt.

Und dann stellen sich uns viele Fragen! Wer hat all dies zu verantworten, was eigentlich niemand verantworten kann? Und warum handeln Menschen so verantwortungslos? Wem nutz es? Was folgt als nächstes in dieser verhängnisvollen Entwicklung? Und können wir diese Entwicklung noch stoppen?

Abschließende Antworten kann und will ich hier nicht liefern. Vielmehr will dieser Kommentar möglichst viele Menschen zum kritischen Nachdenken anstoßen – zum Nachdenken über unseren gedankenlosen Einsatz jedweder verfügbarer Technik und über die damit verbundenen Verantwortlichkeiten.

Wer trägt die Verantwortung?

Wer trägt die Verantwortung? Völlig zu Recht müssen wir uns zunächst alle selbst in die Pflicht nehmen, denn eigentlich immer, besonders aber in einem demokratischen Gemeinwesen verantworten alle Glieder eines Gemeinwesens die Handlungen dieses Gemeinwesens. Dann aber stellt sich auch die Frage nach den Machtverhältnissen? Ganz offensichtlich schauen wir dann auf Politikerinnen und Politiker. Doch auch die Bundeskanzlerin – mit ihrem fragwürdigen Moratorium – oder der Bundestag entscheiden nicht allein! Ein nicht unbedeutender Teil der Macht in unserem Gemeinwesen – übrigens grenzübergreifend, also weltweit – befindet sich tatsächlich in den Händen von Konzernen – und in manchen Ländern auch von Oligarchen. Und dann suchen und fragen wir eben auch diese meist mehr im Hintergrund operierenden Menschen.

Wo liegt die Verantwortung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen? Und welchen Nutzen hat die Gentechnik in der Landwirtschaft? Für die Menschheit hat sie wenig Nutzen aber unübersehbare Risiken, für die Konzerne Bayer/Aventis, Monsanto, Syngenta und DuPont jedoch bringt sie riesige Gewinne!

Und bei der Atomkraft? Im aktuellen Beispiel der Atomenergie liegt in Deutschland ein wesentlicher Anteil der Verantwortung bei den vier großen Energieversorgungskonzernen, E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe, und da dann vorrangig in den Händen der Unternehmensführung vertreten durch den jeweiligen Vorstandvorsitzenden (aber dennoch auch bei den Aktionäre und Kunden!). Wenn wir nach der Verantwortung fragen, dann müssen wir also auch und gerade die – demokratisch nicht legitimierten, wohl aber auf die gesamte Gesellschaft Einfluss nehmenden – Unternehmensführungen und konkret die Vorstandvorsitzenden fragen, ob sie diese genannten Gefahren verantworten können? Und ganz konkret können wir zum Beispiel den Vorstandvorsitzenden der E.ON AG (dem hauptsächlichen Versorger hier in Ostfalen) ein paar Fragen stellen: Das Atommüllendlager ASSE II bei Wolfenbüttel. Geht der Vorstandsvorsitzende der E.ON AG mit hinunter in das Bergwerk? Hilft er unter Bedrohung seiner Gesundheit bei der Bergung der radioaktiven Abfälle mit? Und bei einem drohenden „Super-GAU“ im hier nächstgelegenen AKW Grohnde bei Hameln. Was würde er wohl empfinden, wüsste er, dass eines seiner Kinder unmittelbar vor Ort ist? Oder er selbst, geht er bei einem drohenden „Super-GAU“ vor Ort in den Gefahrenbereich, um die Katastrophe abzuwenden? Ist der Vorstandvorsitzende der E.ON AG folglich bereit, seine eigene Gesundheit und sein eigenes Leben und nicht nur das Leben von Mitarbeitern und Rettungskräften zu riskieren? Das müssen wir fragen und daraus ergibt sich dann ein Appell auch an diese Verantwortungsträger!

Was ist also wesentlich?

Was ist also wesentlich? Wesentlich ist, dass sich jeder einzelne Mensch in unserem Gemeinwesen seiner Verantwortung bewusst wird. Wesentlich ist, dass sich jeder Mensch an die eigene Betroffenheit erinnert. Wesentlich ist, dass sich jeder Mensch des ihm innewohnenden Gefühls der Verbundenheit mit den anderen Menschen bewusst wird. Es ist also nicht nur eine Frage der eigenen Verantwortung, sondern davor eine Frage der eigenen Würde, also letztlich der eigenen Vernunft (nicht des einfachen Verstandes!), was wir als wesentlich anerkennen und zum Maßstab unseres Handelns erklären!

„Vernunft ist in Bewegung ohne gesicherten Bestand.
Sie drängt zur Kritik jeder gewonnenen Position, steht daher im Gegensatz zu der Neigung, sich durch endgültige feste Gedanken vom weiteren Denken zu befreien.“[2]

„… es ist ein Wunder, … daß in der Vernunft eine Kraft der Selbsterhaltung liegt, die als Freiheit immer wieder wirklich wird. Vernunft ist wie ein offenbares Geheimnis, das jederzeit jedem kund werden kann, der stille Raum, in den jeder einzutreten vermag durch eigenes Denken.“[3]

Karl Jaspers

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Weitere Informationen

Das Beispiel AKW Grohnde, weniger als 100 km Luftlinie entfernt von Braunschweig. Folgende sicherheitsrelevante Informationen hat Greenpeace im Herbst 2010 im Greenpeace Magazin 06/2010 veröffentlicht:

  • Meldepflichtige Ereignisse pro Jahr: 8,46 (Einstufung: viel)
  • Konstruktionsbedingte Sicherheitsmängel: In der 3. Baulinie wurden einige Sicherheitssysteme verbessert. Dennoch ist das aus den 70er-Jahren stammende Kraftwerksdesign stark veraltet. Beim gezielten Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs würde die Betonhülle bersten.
  • Zwischenfälle (Auswahl):
    1985: Das Hochdruck-Notkühlsystem ist nicht einsatzfähig, weil eine der vier Pumpen Gas statt Wasser enthält. 
Ein Leck im Primärkühlkreislauf hätte somit zur Kernschmelze führen können.
    1990: An 18 Zentrierstiften, die verhindern sollen, 
dass sich Brennelemente verschieben, werden während einer Revision Schäden entdeckt.
    2005: Wegen verschiedener Störungen wird im Juni binnen zwei Wochen zweimal eine Schnellabschaltung ausgelöst.
    2010: Im August werden bei der jährlichen Revision an einer Anlage zur Abwasseraufbereitung ein Leck und eine räumlich begrenzte radioaktive Kontamination entdeckt. [4]

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Quellen und Hinweise

[1] Begriffserklärung: Kernkraftwerk und Kernenergie werden von den Befürwortern der Atomkraft erst etwa seit den 1960er Jahren vorrangig verwandt. Zuvor waren hauptsächlich Begriffe mit der Vorsilbe Atom im Gebrauch. Unter anderem wegen einer Abgrenzung zur Atombombe wurde dann auf Seiten der Befürworter die harmloser klingende Vorsilbe Kern eingeführt. Kritiker der Atomenergie behielten die Vorsilbe Atom und die Bezeichnung Atomkraft bei.

[2] Jaspers, Karl: Vernunft und Widervernunft in unserer Zeit: Drei Vorlesungen. Neuausg. 3. Aufl. München: Piper, 1990 [(1) 1950], S. 34.

[3] Jaspers, Vernunft, S. 71.

[4] Hassenstein, Wolfgang: „Nukleares Roulette“ in greenpeace magazin 6.10, S.31 ff.


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Veröffentlicht18. März 2011 von Schriftleiter in Kategorie "Atomkraft", "Energie", "Gentechnik", "Kommentare", "Politik und Gesellschaft", "Wirtschaft