Juli 4

Sinn und Aufgabe unseres Daseins

Buchvorstellung

Karl Jaspers

Kleine Schule des philosophischen Denkens.

Ungek. Taschenbuchausg.

München: Piper, 1997 [1965(1)].

Taschenbuch, 183.

ISBN 3-492-20054-0

[Die Quellenangabe bezieht sich auf die der Rezension zugrunde liegende Ausgabe]

Rezension und Hintergrund

„…Wir sind sterblich als lieblose, unsterblich als liebende …“[1]

(re) Philosophieren heißt, das Gegebene hinterfragen. Das philosophische Denken ist kritisch; es stellt eine einmal gefundene Wahrheit schon bald wieder in Frage. Denn der philosophisch denkende Mensch will keiner Täuschung verfallen. Und so bedeutet philosophisches Denken das Hinterfragen der Welt – vom „bestirnten Himmel über mir“ bis hin zum „moralischen Gesetz in mir“ (Kant), von der Geburt bis zum Tod, vom toten Stein hin zum lebenden Wesen, den Menschen ebenso wie Gott. Dieses Hinterfragen ist aber nicht gleichzusetzen mit der absoluten Verneinung aller Existenz. Vielmehr sucht dieses Hinterfragen nach dem, was standhält – wie der Menschlichkeit, dem kategorischen Imperativ, Freundschaft, Liebe. In seiner „Kleinen Schule des philosophischen Denkens“ will Karl Jaspers dann auch nicht Philosophie lehren, sondern allenfalls das Philosophieren. Ursprünglich als Radiovorträge geschaffen wandert Jaspers in dreizehn Kapiteln mit der Leserschaft vom Kosmos über den Menschen, die Politik und die allem erst Sinn verleihende Liebe in all ihren Facetten bis hin zum Tod und zur überlieferten Philosophie. Geistreich und verständlich geschrieben bekommen Leserinnen und Leser einen Einblick in die Jaspersche Philosophie, in seine kritischen Gedanken und eben auch in das Philosophieren.

Wer nicht in unwissender Selbstvergessenheit sterben will, sondern wer mit wachem Blick die Welt und seine eigene Existenz ergründen will, wie sie ist, kann dies nicht ohne ein im Kern philosophisches Denken. Für den Aufbruch, sich auf diese Denkweise einzulassen, kann dieses kleine Buch erste Denkanstöße geben.

Karl Jaspers war Wissenschaftler, Arzt und Psychiater, er war vielleicht der bedeutendste Philosoph des zwanzigsten Jahrhunderts, und er war ein kritischer politischer Schriftsteller. Hannah Arendt sagte von ihm, er sei „in … eigentlich jeder Hinsicht der einzige Nachfolger …, den Kant je gehabt hat“[2]. Für Jaspers war Philosophie nie eine Sache für den akademischen Elfenbeinturm, sondern immer für den einzelnen denkenden und fühlenden Menschen. Entsprechend hat er auch immer wieder die akademischen Mauern verlassen und die Öffentlichkeit gesucht. Von manchem Zeitgenossen als unbequem empfunden hat er nicht nur zu philosophischen Fragen Stellung bezogen, sondern auch zu politischen (was ja ohnehin nicht wirklich trennbar ist). Die Forderung nach Menschlichkeit sprach immer wieder aus seinen Worten. Die Frage nach der Existenz, die Kommunikation mit anderen Menschen als existenziell wesentlich, die Erörterung von Vernunft als oberstem Erkenntnisvermögen sind zentrale Themen in seiner Philosophie. Und vor diesem Hintergrund erörtert Jaspers in seiner Philosophie besonders die Liebe als existenziell wesentliche positive und eigentlich sinnstiftende Kraft. „Liebend sehe ich erst, was eigentlich ist.“[3] Im liebenden Kampf finden die Liebenden zu sich und zu einander. Kommunikation bekommt hier ihren ganz besonderen Sinn, denn nur in Kommunikation erfahren wir Wesentliches.

Ein lesenswertes Buch, das zur Zeit leider nicht verlegt wird.

Umschlagtext:

Denken als Staunen vor dem Sein

»Bei den einzelnen Vorlesungen gehe ich aus von anschaulichen Erfahrungen, von Realitäten der Natur, Lebenswirklichkeiten, Überlieferungen, um jeweils an die Grenze zu gelangen, wo die Fragen auftreten, die keine Wissenschaft beantwortet. Dort erfahren wir das Staunen vor dem Sein. Dort fragen wir nach dem Sinn und der Aufgabe unseres Daseins.«

[1] Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens. Ungek. Taschenbuchausg. München: Piper, 1997 [1965(1)], S. 165.

[2] Arendt, Hannah: Humanitas. Laudatio anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Karl Jaspers 1958. Frankfurt am Main: Börsenverein des deutschen Buchhandels, o. J. [1958], S. 3 (http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/806/1958_jaspers.pdf).

[3] Jaspers, Karl: Von der Wahrheit. Lizenzausg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1983 [1947 (1)], S. 991.


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Veröffentlicht4. Juli 2010 von Schriftleiter in Kategorie "Bildung", "Philosophie", "Philosophie